NATO Won’t Bring Peace

<--

Uli Cremer über die Zukunft der Nato

“Sie wird keinen Frieden schaffen”

04.04.2009

Dass die Nato reformierbar ist, bezweifelt Uli Cremer, Friedenspolitiker der Grünen. Im Gegenteil: Nach dem neuen Strategiekonzept würden Angriffskriege immer einfacher.

taz: Herr Cremer, was verändert der Nato-Gipfel in Straßburg und Baden-Baden?

Uli Cremer: Leider ändert sich nichts zum Guten. Erstens kehrt Frankreich in die Nato-Militärorganisation zurück. Damit ist die Rivalität zwischen Nato und EU Vergangenheit, denn es war vor allem Paris, das die EU in Konkurrenz zur Nato zur Militärmacht ausbauen wollte. Jetzt wird die EU europäischer Pfeiler in der Nato. Die Einflusssphären, die heute “areas of emphasis” heißen, werden abgestimmt.

Zweitens will die Nato den Afghanistankrieg intensivieren. Die Nato ist dort in einem militärischen Schlamassel. Inzwischen gesteht der US-Präsident unumwunden zu, dass der Krieg nicht zu gewinnen ist. Der sogenannte Strategiewechsel besteht wie jedes Jahr in einer Erhöhung der Dosis. Das bedeutet mehr Kämpfe und mehr Tote.

Im Sommer werden über 100.000 westliche Soldaten und Söldner am Hindukusch stationiert sein. So viele Soldaten hatte in den Achtzigerjahren auch die Sowjetunion im Einsatz. Bekanntlich verlor sie den Krieg und zog nach zehn Jahren ab.

Drittens will die Nato ein neues strategisches Konzept entwerfen. Die bisher vorliegenden Strategiepapiere lassen befürchten, dass die Präventivkriegsstrategie aus der Ära Bush nun von der Nato übernommen werden soll, und zwar inklusive der Bekräftigung, dass die Nato sich den Ersteinsatz von Atomwaffen vorbehält.

Außerdem wird an militärischen Einsatzverbänden gebastelt, die der Verfügungsgewalt der Mitgliedsländer entzogen werden sollen, um Nato-Kriegseinsätze zu vereinfachen. Nicht zuletzt will sich die Nato stärker der sogenannten Schutzverantwortung für Öl und Gas widmen.

TAZ: In dem neuen Strategiekonzept sollen aber auch der zivile Aufbau von Ländern wie Afghanistan sowie Abrüstung eine Rolle spielen. Die Nato soll zur Zusammenarbeit mit zivilen Organisationen wie UNO und OSZE gezwungen werden. Ist dies keine Chance, die Nato zu befrieden?

UC: Ich bezweifle, dass die Nato nach 60 Jahren Militärgeschichte überhaupt reformierbar ist. Dazu wäre die entscheidende Frage, ob sie ihre Waffen abgibt und dadurch tatsächlich abrüstet oder ob sie ihre Interventionskapazität beibehält. Natürlich ist Letzteres der Fall.

Abgerüstet werden sollen nur die alten und überholten Waffen. Mit neuen Waffen soll dagegen eine höhere Einsatzeffizienz erreicht werden. Das aber wird keinen Frieden schaffen.

TAZ: Sie ziehen eine ineffiziente Nato mit alten Waffen vor?

UC: Das militärische Gegenkonzept zu der Nato, die wir kennen, wäre ein nicht angriffsfähiges Bündnis – ein echtes Verteidigungsbündnis. Um etwa die Bundeswehr entsprechend umzuwandeln, müsste man die 105.000 Soldaten, die für Angriffe bereitstehen, samt Waffen abbauen. Die 145.000 restlichen Soldaten, die nicht für Angriffskriege geeignet sind, könnte man erst einmal beibehalten.

TAZ: Wenn Ineffizienz der Nato ein Ziel wäre, dann ist ihre Erweiterung, aktuell um Kroatien und Albanien als Mitglieder Nummer 27 und 28, doch auch ein Weg. Auch Nato-Freunde sagen, dass mit jeder Erweiterung die Wahrscheinlichkeit schrumpft, dass es Konsens über einen Feldzug gibt.

UC: Weshalb ja erstens auch die Abschaffung des Konsensprinzips eine ganz wichtige Neuerung des angestrebten Strategiekonzepts sein wird. Zweitens aber werden genau deshalb bislang nur kleine osteuropäische Länder aufgenommen, die sich nicht ernsthaft querstellen. Um ihren Charakter wirklich zu verändern, müsste die Nato auch einen Gegner aufnehmen. Ein kollektives Sicherheitssystem wird die Nato erst, wenn sie dem Iran ein Beitrittsangebot macht.

TAZ: Dem Iran? Einmal abgesehen von den hundert außenpolitischen Gründen, die dagegen sprechen – bislang war mit der Forderung, Russland ein Beitrittsangebot zu machen, die Grenze des Realismus erreicht.

UC: Wenn Joschka Fischer etwas fordert, muss das nicht die Grenze sein – auch wenn ich mich immer freue, wenn ich mit ihm einer Meinung bin. Eine Einladung an Russland ist aber nicht unbedingt ein Fortschritt. Die Militärpotenziale von Nato und Russland würden sich in einem Nordpakt gegen den Süden addieren. Denn Russland ist kein echter Gegner, sondern kooperiert schon lange mit der Nato – aktuell unterstützt Russland die Nato beim Afghanistankrieg.

TAZ: Noch eine Idee, die Nato zum Friedensstifter zu machen: Der Chef der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung, Ralf Fücks, hat vorgeschlagen, Israel in die Nato zu holen. Es würde sich sicherer fühlen und wäre imstande, die Zweistaatenlösung herbeizuführen.

UC: Wenn sich die Nato im Konflikt auf die eine Seite schlägt, ist das gerade nicht friedensfördernd. Der Vorschlag wird dann erst wirklich interessant, wenn man ein als Staat zu gründendes Palästina ebenfalls aufnähme. Wenn dies zum Frieden in Nahost beitrüge, warum nicht? Aber das ist wenig realistisch. Denn die Nato sagt immer, dass alle neuen Länder auch Beiträge zum Sicherheitsexport – sprich: Teilnahme an Militärinterventionen – leisten müssen. Eine Ausdehnung in den Nahen Osten würde stattdessen Nato-Kräfte binden, die für andere Einsätze nicht zur Verfügung ständen.

TAZ: Auch viele Nato-Kritiker denken, dass die Nato eher ein überholter Haufen Bürokratie ist als ein ernst zu nehmender Militärfaktor. Schließlich hätten die USA nach dem Kosovokrieg 1999 wegen der umständlichen europäischen Debatte lieber ihr eigenes Ding gemacht. Ist Europa in der Nato vielleicht die einzige Kraft überhaupt, um US-Interessenpolitik einzuhegen?

UC: Ich glaube nicht an die pazifizierende Wirkung der EU, auch wenn manche Friedensforscher das anders sehen. Der Westen verliert gegenüber China und Indien insgesamt an Bedeutung in der Welt, also werden die USA und Europa aus Angst vor Marginalisierung eher zusammenrücken, als sich über militärisches Vorgehen zu streiten. Der einzige Grund für das bislang relativ friedliche Auftreten der EU ist, dass sie ihre militärischen Kapazitäten noch nicht ausreichend aufgebaut hat. Es fehlt ihr insbesondere an Lufttransportkapazitäten, da das Airbus A400-M-Projekt sich immer weiter verzögert.

TAZ: Zeigt nicht der Einsatz in Afghanistan, dass in Europa der Rückhalt für Einsätze schnell schwindet, dass die Regierungen immer weniger riskieren wollen und können?

UC: Nein. Gerade das Beispiel Afghanistan zeigt, dass die Regierungen viele Jahre Krieg führen können, ohne sich um Zustimmung bemühen zu müssen. Selbst in Deutschland, wo der Parlamentsvorbehalt gilt, gibt es Bundestagsmehrheiten, obwohl ein hoher Prozentsatz der Wähler gegen den Afghanistankrieg ist.

TAZ: Wer nach der jüngsten Abstimmung durchzählte, sah aber auch hier schwindende Zustimmung.

UC: Dennoch sind wir sehr, sehr weit davon entfernt, dass der Bundestag gegen den Einsatz stimmen wird. Und selbst eine Aufstockung der Truppen, wie die USA und die Nato sie weiterhin fordern werden, wird noch mit großer Mehrheit durchgehen.

About this publication