Obama hat viel getan und wenig erreicht
Doch das war zu diesem Zeitpunkt zu erwarten. Auch die zunehmende Skepsis über
seine Politik. Dennoch: Der starke Reformbedarf wird auch weiterhin niemanden
ruhen lassen
Kurz nach seinem Amtsantritt verkündete Präsident Barack Obama den
Amerikanern wie einst Gerhard Schröder den Deutschen: An meinen Taten
sollt ihr mich messen! Wenn es am Ende seiner Legislaturperiode nicht weniger
Arbeitslose gebe, dann verdiene er nicht wiedergewählt zu werden.
Nun ist Obama erst ein halbes Jahr im Amt, doch kurz vor der ersten
Sommerpause ab dem 8. August schaut es nicht zum Besten aus. Der Taten sind
viele, aber die Ergebnisse fallen mager aus. Egal, wo man derzeit hinschaut, fast
nichts läuft glatt und wie geplant. Das Volk wird unruhig. Erstmals seit seiner Wahl
sank die Zustimmungsrate für den nach wie vor äußerst populären Präsidenten
unter 60 Prozent.
Messt mich an meinen Taten: Bei acht Prozent sollte die Arbeitslosigkeit im
Sommer liegen. Stattdessen sind es neuneinhalb Prozent, bald vielleicht zehn. 787
Milliarden Dollar genehmigte der Kongress zur Ankurbelung der Wirtschaft. Doch
die Dollar fließen nur tröpfchenweise.
Bis zum Sommer sollte der Kongress nach Obamas Willen eine
Gesundheitsreform verabschieden. Die miserable Krankenversicherung
belastet die Menschen und Konzerne gleichermaßen, 46 Millionen Amerikaner
besitzen keine Versicherung, Krankheit ist das größte Armutsrisiko. Aber die
verschiedenen Ausschüsse können sich nicht auf einen Kompromiss einigen.
Sämtliche Vorschläge werden gegenwärtig zwischen Politikern und der mächtigen
Gesundheitsindustrie zerrieben. Obamas ehrgeiziger Zeitplan lässt sich kaum
halten.
Außerdem: Der Präsident hat versprochen, zeitgleich mit dem Dollarsegen für
sein Stimulusprogramm das horrende Haushaltsdefizit zu verkleinern. Doch die
Wirtschaft will nicht recht in Schwung kommen, Steuereinnahmen bleiben aus.
Schon ist die Rede von einem zweiten Ankurbelungspaket, also von noch mehr
Schulden.
Der Haushaltsdirektor des Kongresses hat überdies gerade vorgerechnet,
dass die geplante Gesundheitsreform weit mehr kosten wird als erwartet.
Dabei hat Obama schon rund 600 Milliarden Dollar vorgesehen. Doch das
Gegenfinanzierungsprogramm – zum Beispiel eine Reichensteuer oder radikale
Kürzung bei den Gesundheitsausgaben – findet gegenwärtig keine politische
Mehrheit. Aber wo um alles in der Welt soll das Geld für die notwendigen
Veränderungen herkommen?
Damit nicht genug: Obama hat vor Kurzem im Abgeordnetenhaus ein Klimagesetz
zur Abstimmung gestellt – und sogar gewonnen. Allerdings nur hauchdünn.
Gleichwohl bleibt der Inhalt weit hinter den Notwendigkeiten wie auch hinter den
Erwartungen der Ökologen und der Europäer zurück. Nichtsdestotrotz droht im
Senat Ungemach.
Vor allem die Kohlestaaten West Virginia, Ohio, Indiana, Pennsylvania, Montana
und so weiter wollen Obamas Ökoprogramm ausbremsen. Sie fürchten, dass der
vorgesehene Emissionshandel nicht nur die Strompreise nach oben treibt und die
Geldkassen der amerikanischen Otto-Normalverbraucher belastet. Sondern dass
die Kohle teurer und damit noch weniger konkurrenzfähig als bisher wird.
Soweit die Innenpolitik. Aber auch in der Außenpolitik geht es, wenn überhaupt,
nur schleppend voran. Obamas Reden und Diplomatieofferten haben die
Diktatoren in Teheran und Pjöngjang nicht milder gestimmt. Im Gegenteil, Iran
und Nordkorea werkeln weiter kräftig an ihren Atombomben und testen tragfähige
Raketen. Und im Mittleren Osten denken die Israelis nicht im Traum daran, den
Bau von Siedlungen zu stoppen, jedenfalls nicht den Ausbau bereits bestehender
Wohnviertel, was ebenfalls einer weiteren Landnahme gleichkommt.
Die Europäer zieren sich, Guantánamo-Gefangene aufzunehmen und mehr
Soldaten zu Kampfeinsätzen nach Afghanistan zu entsenden. Da alle in der
globalen Wirtschaftskrise knapp bei Kasse sind, fließt auch das bitter benötigte
Geld in die Friedens- und Wiederaufbaukassen von Gaza bis Kabul nur zögerlich.
So gesehen könnte man bilanzieren: Obama hat zwar viel getan, aber wenig
erreicht. Doch das wäre ungerecht. Die meisten Schwierigkeiten waren
vorauszusehen. Nur weil seit dem 20. Januar ein junger, sympathischer,
zupackender neuer Präsident im Weißen Haus regiert, verzichten nicht alle über
Nacht auf ihre jahrzehntelang gehegten und gepflegten Eigeninteressen. Weder
die gut bezahlten Ärzte noch die mächtigen privaten Krankenkassen. Weder
die vermögende Pharmaindustrie noch die Not leidenden Hospitäler. Weder die
Republikaner noch die Demokraten, die alle bereits an die Kongresswahlen im
übernächsten November denken.
Was für den Gesundheitssektor gilt, trifft ebenso auf die Banken zu, die
Autokonzerne, die Kohlezechen, die Schulen. Die Liste ließe sich ewig fortsetzen.
Auch das Ausland ist nicht davon ausgenommen. Ob Feind, ob Freund – im
Zweifel ist jedem das eigene Hemd am Nächsten. Natürlich nicht unterschiedslos,
aber im Prinzip. Obama muss schmerzhaft lernen, dass ihm zwar daheim und in
Übersee viele applaudieren und Glück wünschen. Aber damit ist die Solidarität
auch oft erschöpft. Große Opfer und Gesten bleiben aus.
Und trotzdem: Obama hat bereits viel in Bewegung gebracht, verdammt viel.
Im Grunde kann niemand mehr weitermachen wie bisher. Entweder weil es
der Präsident oder weil es die Verhältnisse nicht erlauben. Reformeifer und
Reformbedarf lassen niemanden ruhen. Diese allgemeine Unruhe wird fortdauern
– und am Ende Amerika und die Welt wahrscheinlich mehr verändern als man
heute ahnt.
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