SOULFOOD-REVIVAL
So kriegt Obama sein Fett weg
Von Jonathan Fischer
Yamswurzeln, in Fett gebackene Innereien und eine Delikatesse namens Potlikker: Soulfood, einst als Cholesterinbombe und Arme-Leute-Essen der Afroamerikaner verschmäht, erlebt unter Barack Obama ein Comeback – selbst der Black-Panther-Gründer macht mit Barbecue-Büchern Furore.
Die Bedienung nennt ihre Gäste grundsätzlich Baby und stellt Riesenbecher mit Eistee auf die Plastiktischdecken. Rundherum Kunststoffstühle, Trockenblumen, ein fettiger Ventilator in der Ecke: Charles’ Southern Style Kitchen an der 151. Straße in Harlem erinnert äußerlich eher an eine schäbige Familienküche denn an die Edelrestaurants von downtown. Und doch: Fast immer gibt es Gedränge vor der gläsernen Eingangstür mit der aufgeklebten Schrift: “12,99 Dollar pro Person. All you can eat.”
SOULFOOD: AUF KLEINER FLAMME BRUTZELN
Kirchgänger und Dozenten von der nahen University of New York, Familien aus der Nachbarschaft, gehstockbewehrte Greise und Jugendliche in übergroßen HipHop-Klamotten warten auf den nächsten freien Tisch. Es sind die Duftschwaden aus Charles’ Aluminiumtrögen, die sie locken. Fettgeschwängerte Düfte, die inmitten der leeren Fensterhöhlen und müllgepflasterten Brachen des nördlichsten Zipfels Harlems den Himmel auf Erden versprechen: Gedünstete Ochsenschwanzspitzen in sämiger Soße. Krosse, pfeffrig panierte Hühnchenschenkel. In Honig geschmorte Spare Ribs. Knoblauchmarinierter Wels. Mit Schweinespeck gewürzter Kohl. Süßer Yams. Schwarze Bohnen. Kurzum: Soulfood.
Soulfood, Seelenkost, so nennen die Afroamerikaner seit den sechziger Jahren und dem Aufkommen von Slogans wie “Black And Proud” selbstbewusst die eigene ethnische Küche. Mit dem gewachsenen Ernährungsbewusstsein der letzten Jahrzehnte drohte ihr beinahe das Aus: Die heißen, fettigen Versuchungen aus Maisgrütze, glasierten Yamswurzeln oder in Fett gebackenen Innereien namens Chitterlings enthielten einfach zu viel Cholesterin. Nun aber feiert Soulfood ein Comeback.
Der erste schwarze Präsident Amerikas mag zwar als Fitness-Fanatiker gelten: Doch im Wahlkampf kredenzte Barack Obama regelmäßig Spezialitäten der Südstaatenküche, dinierte demonstrativ in Soulfood-Lokalen. Sylvia’s, das berühmteste schwarze Restaurant Harlems, bewirbt seitdem die “Fried Chicken Wings” als “Obama’s favorite dish”. An den Wänden lokaler Soulfood-Konkurrenten wie Amy Ruth’s oder Mamie’s Spoonbread hängen ebenfalls Bilder prominenter Besucher: LL Cool J, Whoopi Goldberg, Denzel Washington, Oprah Winfrey, Bill und Hillary Clinton …
Aus der Not geborener Erfindungsreichtum
Und immer mehr Soulfood-Etablissements in den amerikanischen Inner Citys erkennen das Potential einer neuen zahlungskräftigen Kundschaft in Anzug und Krawatte. So hat Charles Gabriel unlängst einen Edelableger von “Charles’ Southern Style Kitchen” auf der 125. Straße eröffnet: Im Stil eines Diners, mit aufs Gramm abgewogenen Gerichten.
“Meine Rezepte habe ich von meiner Großmutter aus North Carolina mitgebracht”, erzählt der Restaurantbesitzer. Aber letztlich gingen eine Menge der Speisen auf die Sklavenzeit zurück: Scharfe Pfefferschoten, Melonen, Okra, Reis und Sesam sollen einst von Afrika aus in die Südstaatenküche eingeführt worden sein. Wie auch die langsam mit Speck gegarten Gemüseeintöpfe.
Eines jedenfalls steht fest: Ohne die verarmten Afroamerikaner der Südstaaten wäre die allamerikanische Küche um einige Standardgerichte ärmer – von Spare Ribs bis Chicken Wings. Historiker verweisen auf einen aus der Not geborenen Erfindungsreichtum: So mussten sich die meisten Afroamerikaner früher mit Schlachtabfällen und den Teilen, die keine andere Verwertung fanden, zufrieden geben, beispielsweise Schweinsfüßen, Schweinsohren, Hühnerflügeln und Innereien. Als Sättigungsbeilagen dienten Mais, Reis, Yams und Süßkartoffeln, bisweilen auch Okra, Kohl, Kürbis und Bohnen. Gemüse, das viele Sklaven in ihrem eigenen kleinen Garten anpflanzen konnten.
Es ist ein Merkmal der Soulfood-Küche, nichts umkommen zu lassen. Altes Brot wurde zu Brotpudding gemacht. Fischreste zu Kroketten. Schweinsfüße wurden in Essig eingelegt. Und selbst die aus dem Gemüse gekochte Flüssigkeit diente als Soße: Potlikker hieß die Delikatesse. Soulfood enthält außerdem traditionell viel Fett, Zucker und Gewürze. Zusätze, um die früher oft minderwertigen Fleischteile geschmacklich zu verbessern.
Charles Gabriel hat wie viele seiner Kollegen die überlieferten Kalorienbomben entschärft: So nimmt er Schinken statt Speck zum Gemüse, und kippt nur noch halb so viel Zucker wie seine Großmutter in den Eistee. Vor allem aber verachtet er die Devise “Schnell auf den Tisch”. Das Tempo, in dem Fastfood-Ketten wie Kentucky Fried Chicken ihre Soulfood-Surrogate aufbereiten, sei für die Verwässerung der Südstaatenküche verantwortlich. Schließlich brauche Soulfood in erster Linie eines: Zeit. Und zeremoniellen Aufwand.
Noch ein einziges Mal den Kartoffelsalat aus Patti Labelles Küche
“95 Prozent meines Jobs sind Geduld. Die restlichen fünf Prozent bestehen aus Würzen und der richtigen Temperaturkontrolle, so dass alles zart und saftig bleibt.” Als Kind, erzählt Gabriel, habe er in mühevoller Kleinarbeit das Fett und die Häute von den Innereien des Schweins gelöst oder einen ganzen Nachmittag lang auf kleiner Flamme brutzelnde Barbecue-Rippchen betreut. “Nachdem du die Rippchen zubereitet und gewürzt hast, musst du sie babysitten, bis sie zart sind. Das kann Stunden dauern. Soulfood ist kein schnelles Essen. Wenn du zu hastig vorgehst, schmeckt es nicht mehr.”
Heute steht Soulfood für nicht weniger als die gaumengerecht aufbereitete afroamerikanische Geschichte. Wie sonst würde der Soulsänger und Motown-Veteran Smokey Robinson auf die Idee kommen, mit dem Werbeslogan “The Soul Is In The Bowl” und seinem Konterfei eine Palette an Gerichten, von Gumbo bis Red Beans and Rice, zu vermarkten?
Er ist nicht der einzige afroamerikanische Prominente, der seinen Namen für das Marketing von gastronomischen Produkten nutzt: Norma Jean Darden, in den sechziger Jahren eines der ersten international erfolgreichen schwarzen Models, betreibt heute ein Soulfood-Catering in Harlem. Ex-Schwergewichtsboxer George Foreman vertreibt eigene Grillsaucen. Und selbst Black-Panther-Gründer Bobby Seale macht heute vor allem mit Barbecue-Kochbüchern Furore.
Bezeichnend die glasigen Augen des HipHop-Produzenten Questlove von der Band The Roots auf die Frage nach seinem größten Traum: “Noch ein einziges Mal den Kartoffelsalat aus Patti Labelles Küche essen.” Kollegen hätten ihm von den phantastischen Kochkünsten der Soulveteranin vorgeschwärmt. Woraufhin er einen Deal mit Labelle geschlossen habe: Kartoffelsalat, Krabbenpasteten, gebackenes Hühnchen, Collard Greens und Blaubeerküchlein gegen seinen Schlagzeugpart auf ihrer Platte.
Die Essenseinladung blieb aus und als Labelles Sohn, ein Rapper, zwei Jahre später um Produktionshilfe für seine Platte anfragte, habe er ihn an das Versprechen seiner Mutter erinnert. “Du bekommst zwei Beats im Wert von 20.000 Dollar, wenn bis nächste Woche Soulfood im Studio ankommt …”
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