03.09.2009
US-Truppenaufstockung rückt näher
VON ADRIENNE WOLTERSDORF
Der Kommandeur der US-Truppen am Hindukusch fordert “verstärkte Anstrengungen”. Die Bevölkerung sieht das jedoch anders. Und der Druck auf Obama wächst.
Mehr oder weniger Soldaten – für Obama ist das ein Dilemma. Foto: ap
WASHINGTON taz | Forderungen nach einer baldigen Festlegung auf eine neue Afghanistan-Strategie bekommt US-Präsident Barack Obama nun auch aus der militärischen Führung. In einem bislang geheimen Lagebericht soll der Oberkommandierenden der US- und Nato-Truppen in Afghanistan die Situation in dem Land US-Medienberichten zufolge als “ernst” bezeichnet haben.
Ein Erfolg im Kampf gegen Extremisten sei zwar nicht aussichtslos, erklärte General Stanley McChrystal, er sei aber nur mit einer veränderten Strategie und “verstärkten Anstrengungen” möglich. Das Ziel müsse sein, so der Oberkommandierende, dass afghanische Soldaten die Führung übernehmen. Doch die afghanische Armee benötige noch drei Jahre Aufbauarbeit, die afghanischen Polizeikräfte noch viel länger.
Obama werde den Report in den kommenden Tagen in Camp David studieren, erklärte der Sprecher des Weißen Hauses, Robert Gibbs, am Dienstag. Mit raschen Entscheidungen hinsichtlich einer möglichen Truppenaufstockung sei jedoch nicht zu rechnen.
US-Verteidigungsminister Robert Gates wollte aber kürzlich nicht ausschließen, dass die Truppenzahl nach der Prüfung des McChrystal-Berichts erneut aufgestockt werden könnte. US-Militärs hatten Richard Holbrooke, Obamas Sondergesandten für die Region, vor kurzem gesagt, die Zahl der Soldaten in Afghanistan sei nicht ausreichend.
Ausländische Soldaten erleiden am Hindukusch ihr gefährlichstes Jahr seit Beginn des Afghanistan-Einsatzes vor acht Jahren. In den ersten acht Monaten wurden nach Angaben der unabhängigen Internetseite icasualties.org mehr als 300 ausländische Soldaten in Afghanistan getötet. 2008 waren es insgesamt 294 Soldaten.
Für Obama könnte die Entscheidung – mehr Truppen nach Afghanistan ja oder nein – zu einem argen Dilemma werden. Mit der von den Militärs befürworteten Aufstockung riskiert er, seine kriegsmüde politische Basis zu verärgern. Bleibt die US-Strategie gegenüber den Taliban jedoch halbherzig, verliert Obama seine Unterstützer – und dazu den Kampf in den Bergen Afghanistans.
Obgleich das Obama-Team nicht müde wird, die Gründe für das Afghanistan-Debakel der Bush-Administration zuzuschreiben, die das US-Militär jahrelang auf Sparflamme agieren ließ, unterstützen bislang am lautesten die Republikaner den Präsidenten. Der hatte den Krieg in Afghanistan zum “notwendigen Krieg” erklärt, im Gegensatz zum “dummen Krieg” im Irak.
Doch mehr und mehr schwindet auch auf republikanischer Seite die Lust am Kampf gegen islamistische Extremisten. Der konservative Kolumnist George Will forderte Obama zu Wochenbeginn in der Washington Post auf, die Verluste zu zählen und sich aus dem Staub zu machen.
Eine Forderung, die unter der US-amerikanischen Rechten eine heftige Debatte auslöste. Ausgerechnet das Nationalkomitee der republikanischen Partei, der Sympathien für Obama bislang eher unverdächtig, verschickte jedoch am Dienstag eine Pressemitteilung, in der es Obama drängte, “standhaft” bei seinem Krieg zu bleiben.
Gegenwärtig befehligt McChrystal, der seinen Job erst Mitte Juni angetreten hatte, rund 103.000 Soldaten, darunter 63.000 US-Amerikaner. Die Hälfte davon kam erst in diesem Jahr in Afghanistan an.
Die US-Soldaten waren im Rahmen einer Eskalationsstrategie in den Hindukusch entsandt worden, die Obamas Vorgänger US-Präsident George W. Bush begonnen hatte, die aber von Obama entschiedener vorangetrieben wurde. Die Gesamtzahl soll bis Ende des Jahres 110.000 erreichen, davon 68.000 US-Truppen.
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