Mitgefangen
Von Martin Klingst
Ob er will oder nicht: US-Präsident Obama muss die Folterpraktiken der CIA aufklären
Barack Obama kämpft derzeit an sieben Fronten: Afghanistan, Irak, Wirtschaft, Finanzen, Klima, Gesundheitsreform – und Folter. Nirgendwo schaut es besonders gut für ihn aus. Doch vor allem die Folterdebatte, die er schnell gewinnen und hinter sich lassen wollte, droht seine Amtszeit schwer zu belasten. Die unselige Bush-Ära wirft einen langen Schatten.
Der kürzlich in Teilen veröffentlichte Untersuchungsbericht des ehemaligen CIA-Generalinspekteurs aus dem Jahre 2004 erhärtet den schon lange bestehenden Verdacht: Geheimdienstagenten oder von ihnen beauftragte Verhörspezialisten haben mutmaßliche Terrorverdächtige gefoltert – im Rahmen der umstrittenen Anweisungen und darüber hinaus.
Es ist richtig: Prinzipiell lässt das Recht keine andere Wahl, als aufzuklären, zu prüfen und, wenn ausreichend harte Beweise vorliegen, anzuklagen und zu verurteilen. Deshalb hat Amerikas Justizminister jetzt einen Sonderstaatsanwalt eingesetzt. Doch die Vergangenheitsbewältigung entwickelt inzwischen eine Dynamik, die Obama politisch äußerst gefährlich werden könnte. Denn die Durchsetzung des Rechts verlangt einen hohen Preis.
Es ist genauso unvermeidbar wie hochexplosiv: Ins Fadenkreuz der Justiz geraten nicht nur die kleinen Folterer, sondern zwangsläufig auch jene, die zu diesen Grausamkeiten angeleitet, die sie gefordert und gefördert haben. Dazu zählen am Ende der Verantwortungskette auch George W. Bush und Dick Cheney. Sollten der ehemalige Präsident und sein Vize jemals auch nur in die Nähe der Anklagebank rücken, würden die Schlachten der vergangenen Jahre gnadenlos aufleben. Obamas Versprechen, Amerika von Grund auf zu erneuern, drohte in diesem Kampfgetümmel unterzugehen.
Dennoch darf es kein Zurück mehr geben. Denn andersherum wäre der Schaden noch gewaltiger: für Obamas Glaubwürdigkeit, für das Ansehen Amerikas in der Welt – und für das Recht, dem der neue Präsident wieder Geltung verschaffen wollte.
Natürlich hätte es sich Barack Obama anders gewünscht. Er hatte gehofft, die unselige Bush-Ära mit einigen wenigen Federstrichen vergessen machen zu können. Sein Motto lautete: Lasst die Vergangenheit ruhen und uns stattdessen Vorkehrungen für die Zukunft treffen! Deshalb dekretierte er gleich nach seinem Amtsantritt strikte Verhörregeln. Er löste die geheimen CIA-Gefängnisse auf, ordnete an, das Gefangenenlager Guantánamo zu schließen, und veröffentlichte Berichte über Misshandlungen.
Doch im gleichen Atemzug verbot er die Preisgabe von Folterfotos und verkündete, keine Verhöragenten zu belangen, die sich an Anweisungen von oben gehalten hätten. Zudem setzte er die alte Praxis fort, mutmaßliche Terroristen in fremden Kerkern ausfragen zu lassen und weiterhin dauerhaft einzusperren.
Diese Schaukelpolitik konnte nicht den von ihm erhofften Frieden bringen. Dafür hatte sich Obama bereits zu weit vorgewagt. Seinem liberalen Justizminister hat er freie Hand gelassen. Und sogar der Ethikausschuss des Justizministeriums empfiehlt jetzt, einige Fälle wieder aufzurollen und die Folterer gegebenenfalls zur Verantwortung zu ziehen.
Man stelle sich vor, Obama pfiffe seinen Justizminister zurück. Alles wäre plötzlich auf den Kopf gestellt, und es schiene, als würde Dick Cheney recht behalten mit seiner furchtbaren Behauptung, zur Verteidigung der Freiheit und Sicherheit sei alles erlaubt, selbst die Folter. Dabei hat der ehemalige Vizepräsident soeben wieder einmal seine besondere Skrupellosigkeit gezeigt. Wenn es der Auskunftsfreudigkeit mutmaßlicher Terroristen diene, dürften sie nach Cheneys Meinung bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt werden. Dann dürfe man ihnen mit der Vergewaltigung der Ehefrau drohen, ihnen eine laufende Bohrmaschine unter die Nase halten und die Beine blutig schrubben.
Cheney behauptet, seine rabiate Antiterrorstrategie habe Gefangene geständig gemacht und Amerika vor weiteren Anschlägen bewahrt. Einige CIA-Berichte scheinen das zu bestätigen, den Beweis dafür allerdings bleiben sie schuldig. Doch Obama weiß: Im Zweifel votierte das Volk eher für brachiale Hau-drauf-Methoden als für feinsinnige Rechtsstaatserwägungen. Nichts fürchtet der Präsident deshalb mehr, als dass mitten in die schwierige Aufarbeitung der Vergangenheit ein neuer Anschlag platzen könnte.
Müssen Cheney und Co. also vor Gericht? Nicht zwingend. Es gibt Beispiele dafür, dass sich Regierungsunrecht auch anders aufklären und ahnden lässt – etwa mit einer Wahrheitskommission. Welchen Weg der Präsident wählt, ist seine politische Entscheidung. Theoretisch könnte Obama der Justiz auch einen Riegel vorschieben und die Sache zu den Akten legen; die Gesetze würden ihm das erlauben. Den Kampf um Amerikas Zukunft aber hätte er dann verloren. Gewinnen kann er ihn nur, wenn er sich der Vergangenheit stellt – auch wenn er auf diese Auseinandersetzung lieber verzichten würde.
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