In der Außenpolitik fehlt Obama der Plan B
Von Jacques Schuster
6. November 2009
Symbolpolitik ohne Strategie: Gerade gewählt, entwarf der neue US-Präsident ein außenpolitisches Programm, das der kriegs-, terror- und George-W.-Bush-müden westlichen Öffentlichkeit aus dem Herzen sprach. Ein Jahr nach Barack Obamas Wahlsieg lässt Amerikas Außenpolitik eine klare Linie vermissen – und viele Fragen offen.
Es fing alles so gut an am 4. November 2008. Barack Obama schritt als strahlender Sieger durch das Blitzlichtgewitter in eine rosige Zukunft. So jedenfalls erschien es der Mehrheit der Amerikaner und den Europäern sowieso. Eine wundersame Heilserwartung durchzuckte Europa beim Anblick des Präsidenten, der versuchte, das messianische Verlangen der Massen zu befriedigen.
Amerika, das ist die Verschmelzung von Christentum und Aufklärung, von Christentum und demokratischer Mission zu einer Zivilreligion, die ein Gemisch aus christlichem Republikanismus und demokratischem Glauben darstellt; in anderen Worten: Amerika ist eine Nation mit der Seele einer Kirche. Obama ist der Hohepriester dieser Kirche, und die Europäer lieben ihn dafür.
Was der Präsident verkündete, gefiel. Obama entwarf ein außenpolitisches Programm, das der kriegs-, terror- und George-W.-Bush-müden westlichen Öffentlichkeit aus dem Herzen sprach: Der neue Herr im Weißen Haus gelobte, das Gefangenenlager Guantánamo innerhalb eines Jahres zu schließen.
Das Verhältnis zu Russland verbessern
Ferner sollten die Truppen aus dem Irak zurückgezogen, Afghanistan aus einer Mischung aus Sozial- und Militärhilfe befriedet, der Iran durch Gespräche besänftigt und Israelis wie Palästinenser miteinander versöhnt werden. Nebenher gelobte der Präsident noch, das Verhältnis zu Russland zu verbessern und ein atomwaffenfreies Zeitalter einzuläuten. Jesaja 11,6 schimmert auf: „Dann wohnt der Wolf beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Knabe kann sie hüten.“
Obama nannte viele Hüter – und auch das stimmte hoffnungsfroh. Kaum ein anderer Präsident zuvor versammelte soviel außenpolitische Schwergewichte in einer Administration: von Hillary Clinton bis Verteidigungsminister Robert Gates, von Richard Holbrooke über Sicherheitsberater James Jones bis hin zum Nahost-Sondergesandten George Mitchell. Doch was haben sie bewirken können? Auf welchen Feldern vermochte Obama Land zu gewinnen?
Ein Jahr nach der Wahl des Präsidenten fällt eine erste Bilanz ernüchternd aus. Bisher scheint es, als habe Barack Obama Visionen, aber keine Strategie. Leidenschaftlich und wortreich verkündet er Initiativen, doch es fehlt jeweils der Plan B, von den Fehlern zu schweigen, die Obama jetzt schon begangen hat.
Zunächst zu den Fehlern. Kurz nach Amtsantritt las Obama Israels Premierminister Benjamin Netanjahu die Leviten und forderte, den Siedlungsbau einzustellen. Das Verhältnis zum israelischen Verbündeten ist seither getrübt. Nun nahm Obama einen Kurswechsel vor, ging von seiner bisherigen Haltung ab und schwächt damit Präsident Mahmud Abbas, den einzig wirklich verhandlungsbereiten Palästinenser von Belang. Sollte er stürzen, ist eine weitere Chance zum Gespräch vertan.
Zeigt mal Sanftmut, dann wieder Härte
Antworten, wie es dann weitergehen soll, hat Obama nicht. Ähnlich verschwommen ist die Politik dem Iran gegenüber. Teheran scheint das amerikanische Gesprächsangebot auf nordkoreanisch zu beantworten: Es spricht und verhandelt, zeigt mal Sanftmut, dann wieder Härte. Vor allem aber spielt der Iran auf Zeit und baut unbeirrt weiter an seiner Atombombe. Was Obama in diesem Fall tun wird, weiß keiner. Von einem überzeugenden Konzept ist nichts bekannt.
Unter anderem setzt der US-Präsident auf Russland. Ohne Not gab er den Raketenschild in Osteuropa auf, um Moskau zu beruhigen und ins westliche Lager gegen Teheran zu ziehen. Präsident Medwedjew und sein Ministerpräsident Putin rieben sich die Hände. Entgegenkommen zeigen sie nicht. Was geschieht, wenn der Kreml seine iranfreundliche Politik weiter betreibt? Aus Washington dazu keine Antwort. Könnte sie Stanley McChrystal geben?
Seit Wochen warnt der General seinen Präsidenten vor einer Niederlage in Afghanistan, bittet um mehr Männer und einen klaren Kurs. Vergeblich. Von Obama ist dazu nichts zu hören. Derweil kehrt der Irak als Problem zurück. Gleichzeitig blickt die muslimische Welt ernüchtert nach Washington. Sie hatte sich nach Obamas Kairoer Rede im Juni Taten versprochen. Nichts geschah.
Freilich: So muss es nicht bleiben. Obama hat noch Zeit, seine Symbolpolitik mit einer Strategie zu versehen. Misslingt es ihm, so wird er wie Präsident Jimmy Carter enden. Für den Westen wäre dies eine Katastrophe.
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