So geht gutes Marketing
Von Christian Schlüter
Diese Sätze haben es in sich: Nach einigen, für ihn “unglaublich harten” und mit “weitreichenden Folgen” verbundenen Erwägungen ist der Internetkonzern Google “zu dem Schluss gekommen, dass wir überprüfen sollten, ob wir unseren Geschäften in China überhaupt nachgehen können. Wir haben entschieden, dass wir nicht länger bereit sind, die Zensur der Suchergebnisse auf Google.cn hinzunehmen, weshalb wir in den nächsten Wochen Gespräche mit der chinesischen Regierung führen werden, um die gesetzlichen Voraussetzungen für einen unzensierten Suchmaschinenbetrieb zu erörtern.”
Die Erklärung stammt von Googles Chefjustiziar David Drummond, veröffentlicht wurde sie im frei zugänglichen Firmenblog. Überschrieben ist sie mit “Ein neuer Ansatz für China” und geht zurück auf einen, so Drummond, bereits im Dezember verübten, “extrem ausgeklügelten und treffgenauen Angriff auf unsere in China gelegene Infrastruktur”. Mutmaßlich sollte “geistiges Eigentum” von Google, etwa der streng geheime Such-Algorhythmus, gestohlen werden.
Betroffen seien allerdings auch andere Firmen, vornehmlich Finanz-, Medien- und Hightech-Unternehmen. Nimmt man noch hinzu, dass Googles Justiziar auch diverse Ausspähversuche bei Gmail beklagt, des wegen seiner hohen Sicherheitsstandards bei chinesischen Dissidenten beliebten E-Mail-Dienstes, dann ist die Botschaft klar: Google schützt die Menschenrechte und die freie Rede, sorgt sich um das geistige Eigentum und die Privatsphäre, also die Sicherheit im Internet, warnt die Öffentlichkeit und andere Unternehmen und empfiehlt sich damit als selbstloser Schutzpatron, eigentlich sogar als politische Institution, die jetzt nur noch dem Allgemeinwohl dient.
Eine faule Ausrede
Unter Marketinggesichtspunkten dürfen wir von einem Coup ausgehen. Sofort sind die Querelen der vergangenen Jahre vergessen, etwa die um das Urheberrecht oder die um den Datenschutz. Auch dass Google in erster Linie ein sehr großes, auf aggressive Expansion ausgerichtetes Unternehmen ist – Schwamm drüber. Jetzt geht es um die Freiheit, und die ist eine politisch wie moralisch anspruchsvolle Vokabel. Allerdings auch ein abwägenswertes und nicht etwa unbedingt geltendes Gut, wie uns Drummond erläutert. Als man sich 2006 entschied, ins China-Geschäft einzusteigen, war man “überzeugt, der Nutzen eines offeneren Internets überwiegt unser Unbehagen angesichts der Zensur”.
Man hatte also die Hoffnung, freiere Märkte und Informationsflüsse würden die Menschenrechtslage entspannen, wenn nicht gar verbessern. Das ist nicht nur in den USA ein beliebter Irrtum und in Anbetracht der Weltläufte – siehe allein Russland und Indien – eine faule Ausrede. Und ein Weiteres: In technischer Hinsicht erstaunt der Irrglaube, das Internet sei von seiner Struktur her ein dezentrales, nicht-hierarchisches und also ein per se freies Medium; ihm wohne deshalb eine moralisch-politische Tendenz, eine Art emanzipatorischer Effekt inne. Dergleichen glauben vielleicht weltfremde Computernerds, nicht aber die Profis bei Google.
Die nämlich verfolgen eine Strategie nach zwei Seiten. In Richtung Peking baut man eine Verhandlungsposition auf und gen Westen ruft man sich als verlässlicher Geschäftspartner und Menschenrechtsaktivist in Erinnerung.
Das nennt sich eine Win-win-Situation.
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