New Weapons for Lobbyists

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Die neuen Waffen der Lobbyisten

Von Felix Wadewitz

15.2.2010

US-Konzerne dürfen jetzt unbegrenzt Geld für Wahlwerbung ausgeben. Bei den Kongresswahlen im Herbst können sie bereits über Sieg oder Niederlage entscheiden.

“Ein Schlag gegen die Demokratie”: Senator John Kerry (r., mit Präsident Obama) kämpft gegen den wiedererstarkten Einfluss der Lobbys auf Wahlen

Man kennt das Szenario aus Politthrillern: Ein einflussreicher Großkonzern, wahlweise aus der Öl-, Chemie- oder Rüstungsindustrie, sucht sich einen vielversprechenden Kandidaten mit “vernünftigen Ansichten” für einen Sitz im US-Kongress und pumpt Millionen von Dollar in den Wahlkampf. Dank unerschöpflicher Geldreserven wird der Gegenkandidat zugleich mit einer Schmutzkampagne überzogen. Der Wahltag verläuft dann entsprechend erfolgreich – für den Konzern.

Was eigentlich nach einem John-Grisham-Krimi klingt, wird gerade zur Wirklichkeit. Im November sind Parlamentswahlen. Dann stehen viele Senatoren und alle Mitglieder des Repräsentantenhauses zur Wahl und die Mehrheit von Präsident Barack Obama auf der Kippe. Und in den Büros auf der berüchtigten K Street in Washington, wo viele der größten Lobby-Agenturen ihren Sitz haben, stellen die Politprofis für ihre Kunden aus der Energie-, Versicherungs-, Finanz- und Waffenindustrie gerade die Businesspläne für den kommenden Wahlkampf auf. Sie analysieren die Wahlkreise: Welcher Kandidat ist gegen eine Finanzreform? Wer ist für eine Lockerung der Waffengesetze? Und wo ist das Rennen so knapp, dass ein paar Millionen den Unterschied ausmachen könnten?

Das alles ist ab der kommenden Wahl völlig legal – dank der Entscheidung Nr. 08-205 des Obersten Gerichtshofs. Mit der knappen Mehrheit von fünf zu vier Stimmen haben die Richter die bislang geltenden Limits für Unternehmen und Gewerkschaften bei der Finanzierung von politischen Kampagnen aufgehoben. Damit können Unternehmen ab sofort zur Wahl oder Nichtwahl einzelner Kandidaten aufrufen – mit Werbespots im Fernsehen, Radiokampagnen oder persönlichen Anrufen bei den Wählern und dafür so viel Geld ausgeben, wie sie wollen. Bislang war das verboten. Lediglich zu Inhalten durften Konzerne auch per Fernsehwerbung Stellung beziehen, die direkte Erwähnung eines Kandidaten war in den Wochen vor einer Wahl nicht erlaubt.

Das gibt den Lobbyagenturen wie Patton Boggs, Akin Gump Strauss Hauer & Feld und Van Scoyoc Associates, um nur die drei größten zu nennen, ganz neue Werkzeuge in die Hand, mit denen sie bei ihren Kunden Eindruck schinden können. Auf beiden Seiten des politischen Spektrums wird zurzeit überlegt, ob und wie die neuen Möglichkeiten genutzt werden könnten. “Wir diskutieren mit unseren Kunden gerade die Vor- und Nachteile von direkt auf Kandidaten abzielende Kampagnen”, sagte Tony Podesta, dessen Lobbyisten-Truppe Podesta Group die Nummer vier auf der K Street ist. “Ohne die Entscheidung des Obersten Gerichts, könnten wir das nicht tun.”

“Das Urteil ändert schon jetzt die Dynamik der Wahl”, sagt Edward Foley von der Ohio State University. Die politischen Ausgaben der Konzerne werden sich in diesem Wahlkampf verfünffachen, prognostiziert der Professor. “Auch bei politischer Werbung gilt: Wiederholung wirkt. Wer die tiefsten Taschen hat, gewinnt.” Am meisten Geld dürften die Branchen ausgeben, die von den großen Gesetzentwürfen am meisten betroffen sind: Banken (Finanzreform), Energiekonzerne (Klimaschutz) und Pharma- und Versicherungskonzerne (Gesundheitsreform). Ganze Branchen werden massiv solche Politiker unterstützen, die bei wichtigen Gesetzesvorhaben auf ihrer Seite stehen. “Welchen tatsächlichen Effekt das am Ende hat, läßt sich allerdings nicht voraussagen”, meinen Foley und andere Beobachter.

Die Kritiker des Urteils fürchten vor allem, dass Politiker nicht mehr nur auf die Spenden der Wirtschaft schielen, sondern fortan erpressbar sind. “Das oberste Gericht hat den Lobbyisten eine neue Waffe überreicht”, schrieb die New York Times in einem Editorial. “Ein Lobbyist kann nun jedem Abgeordneten drohen: Wenn du falsch abstimmst, wird mein Unternehmen unbegrenzt Geld ausgeben, um deine Wiederwahl zu verhindern.” Und der linksliberale TV-Moderator Keith Olbermann ätzte in seiner Politikshow auf dem Sender MSNBC: “In zehn Jahren ist jeder Abgeordnete ein politischer Callboy.”

Die Entscheidung der Richter ist auch ein Erbe von George W. Bush. Der Ex-Präsident konnte in seiner Amtszeit gleich zwei der auf Lebenszeit ernannten Richter neu berufen und sicherte dem konservativen Flügel des Gerichts die Mehrheit. Die obersten Richter stimmten bei ihrer Entscheidung genau nach politischem Lager ab: Die als konservativ geltenden Juristen votierten für das Ende aller Einschränkungen – die als linksliberal geltenden Richter waren dagegen. Das Urteil hebt zwei gegenteilige Entscheidungen des Obersten Gerichts aus den vergangenen Jahren auf: 2003 und 1990 hatten die Richter die Beschränkung von politschen Ausgaben durch Unternehmen noch verteidigt. Nun sagt das Gericht: Der Staat darf die Meinungsfreiheit nicht einschränken und hat nicht das Recht, die politischen Ausgaben der Unternehmen zu begrenzen. “Zensur ist ungesetzlich”, so der Tenor der 183 Seiten starken Urteilsbegründung.

Einer der unterlegenen Richter reagierte in seiner schriftlichen Stellungnahme mit klaren Worten. “Die Mehrheit macht einen großen Fehler”, schrieb Richter John P. Stevens. Wenn das Geld der Wirtschaft die Politik überflutet, korrumpiere das die Demokratie. “Das ist das schlimmste Urteil seit Dred Scott”, sagte der Kongressabgeordnete Alan Grayson von den Demokraten. Das Scott-Urteil von 1857 besagte, das Sklaven niemals in den Genuss von Bürgerrechten kommen können.

Auch Barack Obama tobte nach dem Urteilsspruch. “Das ist ein großer Sieg für die Ölindustrie, Wall Street, die Pharmabranche und all die anderen, die in Washington ihren Einfluss einsetzen, um die Stimmen der einfachen Amerikaner übertönen”, schimpfte der Präsident. Obama wiederholte die Kritik bei seiner Rede zur Lage der Nation – da saßen die Richter in der ersten Reihe direkt vor dem Rednerpult des Präsidenten. Die Entscheidung des Gerichts ist ein Schlag für die Bemühungen des Präsidenten, den Einfluss der Lobbyisten auf die Politik in Washington einzudämmen oder zumindest transparenter zu machen.

“Es ist ja nicht so, dass US-Konzerne bislang ohne Einfluss gewesen wären”, sagt Professor Foley süffisant. Hunderte Millionen Dollar flossen von Unternehmen und Gewerkschaften über verschiedene Kanäle in die Wahlkämpfe der vergangenen Jahre. “Investitionen in Lobbyarbeit bringen die höchsten Margen”, sagt Sheila Krumholz, Direktorin des Center for Responsive Politics. Ihr Lieblingsbeispiel: Die Bank of America pumpte 2008 ganze 14,5 Millionen US-Dollar in die Politik. Aus dem Rettungsprogramm der Regierung Bush erhielt sie später sensationelle 45 Milliarden Staatshilfe.

Eine ganze Branche lebt in der Hauptstadt prächtig davon, den Politikern in den Ohren zu liegen. Daran hat auch der Einzug von Obama ins Weiße Haus nichts geändert. Zwar verschäfte der neue Präsident gleich am ersten Amtstag die Ethik-Regeln für die Lobbyisten. Teure Abendessen, exklusive Reisen und Geschenke für Abgeordnete sind jetzt tabu. Und wer sich auf einen Posten in einer Regierungsabteilung bewirbt, darf nicht zuvor sein Geld damit verdient haben, genau diese Abteilung im Auftrag von Konzernen zu bearbeiten.

Trotzdem boomt die Branche wie nie. Mit den Plänen zum Umbau des Gesundheitssystem, der Reform der Finanzmärkte und dem Klimaschutz legt sich der Präsident mit ausgesprochen zahlungskräftigen Konzernen an. Gewinnt Obama, verlieren viele Unternehmen viel Geld. Deshalb heuern die Manager nun Agenturen und Kanzleien aller Art an, um den Gesetzesmachern einzuheizen: Die Umsätze der Lobbyisten lagen nach ersten Schätzungen vergangenes Jahr noch über dem Rekordwert aus dem Jahr 2008, so das Center for Responsive Politics. Damals waren es mehr als drei Milliarden Dollar.

Ein Bündnis aus Nichtregierungsorganisationen und Politikern wie dem ehemaligen Präsidentschaftskandidaten John Kerry kämpft nun in einer landesweiten Kampagne für ein Gesetz, die das Urteil des Obersten Gerichts aushebeln soll. “Das ist ein Schlag gegen die Demokratie. Es sollte klar sein, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung für Menschen gemacht ist und nicht für Konzerne”, sagte Kerry. In einem ersten Schritt soll der Kongress die Regeln zur Transparenz verschärfen, damit klar wird, wer hinter welchem Werbespot steht. Bislang können die Konzerne ihre politische Arbeit an Tochterorganisationen auslagern. Die Werbung wird dann nicht etwa vom Ölmulti Exxon Mobile sondern von einer Initiative namens “Amerikaner für Arbeitsplätze” geschaltet.

“Konzerne sind keine Menschen, sie wählen nicht und sie sollten den Ausgang von Wahlen nicht beeinflussen dürfen”, sagt Craig Holman von der Nichtregierungsorganisation Public Citizen. Die Organisation fordert einen Verfassungszusatz, der das Recht auf freie Meinungsäußerung auf Menschen und Medien beschränkt. Zudem könnten die Ausgaben für politische Kampagnen den Anteilseignern zur Abstimmung vorgelegt werden und müssten zudem veröffentlicht werden. “CEOs sollten nicht mit dem Geld ihrer Anleger ihre eigene politische Agenda verfolgen dürfen”, sagt Holman.

Einen Vorgeschmack auf das, was im Herbst auf die Wähler zurollt, gab es gerade erst in Massachusetts. Nach dem Tod von Edward Kennedy mussten der Bundesstaat einen neuen Senator nach Washington schicken. Dank einer Gesetzeslücke haben Organisationen wie die US-Handelskammer und die ebenfalls von Konzernen abhängige Inititiave “Amerikaner für Arbeitsplatzsicherheit” das Fernsehen mit Wahlwerbung für den republikanischen Kandidaten Scott Brown geflutet. Parallel schalteten sie Anti-Spots gegen die demokratische Gegenkandidatin. Brown gewann den Senatssitz als erster Republikaner seit fast vier Jahrzehnten.

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