Israels Siedlungsbau ist den Streit nicht wert
Von Thomas Kleine-Brockhoff
16.3.2010
Der Konflikt um jüdische Siedlungen hat die Beziehungen zwischen den USA und Israel drastisch verschlechtert. Die USA sollten ihn nicht eskalieren lassen.
Besuch im palästinensischen Dorf Mreiha: Israelische Sicherheitskräfte begleiten eine Gruppe Kinder von jüdischen Siedlern
Die Versuchung ist groß zu rufen: “Recht geschieht’s ihnen, den Israelis!” Seit 40 Jahren erschweren sie den Frieden durch Errichtung immer neuer Siedlungsgürtel im besetzten Palästinensergebiet. Und nun, endlich, ruft sie ein amerikanischer Vizepräsident zur Ordnung, der beim Besuch im Heiligen Land mit einem neuen Baubeschluss begrüßt wird. Prompt hält Amerikas Außenministerin Israels Premierminister 43 Minuten lang eine Standpauke und spricht von einer “Beleidigung” der Vereinigten Staaten. Plötzlich ist sie da, die erste ernsthafte Beziehungskrise der beiden Alliierten seit zwei Jahrzehnten.
Rechtens war Israels Betonpolitik in den besetzten Gebieten noch nie, und offen unterstützt hat Amerika diesen Barrikadenbau mit Wohnriegeln auch zu keiner Zeit. Allerdings konnten die Vereinigten Staaten entweder nichts ausrichten, oder sie ließen Israel stillschweigend gewähren.
Dennoch: So frostig und frustig wie heute ging es zwischen Israel und Amerika nur einmal zu, als Außenminister James Baker auf absprachewidrigen Siedlungsbau reagierte, indem er im Heiligen Land die Nummer der Telefonzentrale des Weißen Hauses verbreitete und der israelischen Regierung sagte: “Ruft uns an, wenn es Euch ernst ist mit dem Frieden.” Nicht zufällig geschah dies während einer historischen Zeitenwende, im Jahre 1990.
In den Zeiten des Kalten Krieges wollte Amerika den Einfluss der Sowjetunion im Nahen Osten einhegen und ging deshalb auf die Suche nach arabischen Verbündeten. Nach dem Ende der Sowjetunion war das nicht mehr nötig, und Amerikas Politik neigte sich zunehmend dem langjährigen Verbündeten Israel zu. Der heutige Streit um den Siedlungsbau kann deshalb als überfällige Rebalancierung der amerikanischen Nahost-Politik gesehen werden. Als Symbol mag der Krach deshalb wertvoll erscheinen: Ein Weckruf für die Israelis, es nicht zu weit zu treiben. Manchen wird das mit Genugtuung erfüllen.
Und doch ergibt kühle Kalkulation, dass die Siedlungsfrage der falsche Streit zur falschen Zeit ist. Er bringt die Parteien nicht weiter auf dem Weg zum einzigen Ziel, das zählt: dem Frieden. Wenn Amerika Vermittler sein will, muss es Vorbedingungen für Verhandlungen aus dem Weg räumen, nicht selber welche auftürmen. Präsident Obama hatte ursprünglich ein vollständiges Siedlungsmoratorium verlangt, auch in Jerusalem und sogar innerhalb existierender Siedlungen. Derart weitgehende Vorbedingungen für Verhandlungen hatten nicht einmal die Palästinenser gestellt. Kaum formulierte Obama sie, konnten die Palästinenser nicht dahinter zurückbleiben. Ungewollt erhöhte der amerikanische Präsident die Hürden für den Gesprächsbeginn.
Wenn Amerika den Verbündeten Israel wie zum Boxkampf annimmt, muss es sich lohnen. Der Konflikt sollte ein Ziel haben und Teil einer Strategie auf dem Weg zu einer umfassenden Friedenslösung sein. Ein Streit um Siedlungen um der Siedlungen willen führt in die Sackgasse. Genau dort landete Präsident Obama, als er seine unrealistischen Forderungen erhob. Ministerpräsident Netanjahu widersetzte sich ihm, und das kleine Israel zwang das große Amerika in die Knie.
Zur Gesichtswahrung einigte man sich hernach auf einen komplizierten Kompromiss: Israel ließ sich auf ein Siedlungsmoratorium von zehn Monaten ein. Für den öffentlichen Gebrauch war von einem Baustopp rund um Jerusalem nicht die Rede. Nur in einer Geheimabsprache stimmte Netanjahu der Einbeziehung Jerusalems zu. Irgendwer in Israel aber scheint in die stillen Absprachen mit Amerika nicht eingeweiht gewesen zu sein.
Jedenfalls hat das Fingerhakeln um die Siedlungen erst Obama, dann Netanjahu blamiert. Beide kostet der Streit Macht. Inzwischen ist Barack Obama in Israel der unbeliebteste amerikanische Präsident seit unvordenklicher Zeit. Damit erodiert das Vertrauen in den potenziellen Vermittler. Zugleich hat Obama auf arabischer Seite noch nicht jenen Vertrauensverlust gegenüber Amerika wettgemacht, den besonders sein Vorgänger eingeleitet hatte.
Gewiss, Obamas Kairoer Rede hat den Geist einer neuen Partnerschaft mit den Muslimen der Welt beschworen. Aber gefolgt ist daraus nicht viel. Es war eine Rede, nicht der Auftakt zu einer neuen Politik gegenüber der arabischen Welt. So wird Barack Obama inzwischen von beiden Seiten als schwächelnder Unterhändler betrachtet. Er ist dabei, in der Region den Kredit zu verspielen, den er braucht, um etwas zu bewegen.
Nach der Brüskierung durch die Amerikaner steht Premierminister Netanjahu nun vor der Wahl, entweder das wichtigste Bündnis seines Landes oder seine Koalition mit den kleinen ultrarechten Parteien zu gefährden. Die Entscheidung für Amerika könnte eine Regierungskrise, vielleicht gar den Fall seiner Regierung nach sich ziehen. Daran kann Amerika nicht interessiert sein. Seit Menachim Begins Vertragsabschluss mit Ägypten im Jahre 1979 weiß man, dass Frieden mit Territorialverzicht lieber israelische Konservative schließen. Und auf der anderen Seite wird Israel bessere Friedenspartner als Mahmud Abbas und Salam Fajjad auf palästinensischer Seite nicht finden. Auch deren Regierungszeit wird zu Ende gehen. Darum ist jetzt die Zeit für Verhandlungsfortschritte, nicht für Regierungskrisen oder künstliche Verhandlungsbarrieren.
Ohnehin tickt die Uhr nicht auf Seiten Israels. Im arabischen Camp wird notiert, dass sich die strategische Lage deutlich verändert hat: Amerika schwächelt, es kriselt zwischen der Türkei und Israel, und Israel steckt seit dem Goldstone-Bericht über Kriegsverbrechen im jüngsten Gaza-Feldzug in einer globalen Legitimationskrise. Am Schwersten wiegt, dass die iranische Atombombe inzwischen vielerorts als unabwendbar gilt. Irans Verbündeten (Hizbollah, Hamas und Syrien) gefällt diese Analyse. Sie haben es nun nicht mehr eilig, Frieden zu schließen. Sie glauben, morgen einen besseren Deal zu bekommen als heute. Genau deshalb sollten Amerika und Israel sich jetzt nicht auf Nebenkampfplätzen verzetteln.
Ein Friedensschluss im Nahen Osten wäre das unwahrscheinlichste, aber schönste Gegengift gegen die iranische Gefahr. Lässt sich die Bedrohung trotz aller Bemühungen nicht abwenden, so ist der richtige Zeitpunkt für den richtigen Konflikt gekommen: wenn nämlich Israel wider amerikanischen Willen den atomaren Schwellenstaat Iran bombardieren will. Um Einfluss auf Israel zu behalten, darf Amerika ihn jetzt nicht verspielen.
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