Hunting Scenes From Baghdad

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Jagdszenen in Bagdad

Von Kai Müller

8.4.2010

Kai Müller über ein Video, das die erschreckende Verrohung des Menschen durch den Krieg zeigt.

Als am 12. Juli 2007 der Reuters-Fotograf Namir Noor-Eldeen und sein Fahrer Saeed Chmagh in den Straßen von Bagdad getötet wurden, gab das US-Militär dafür „Aufständischen“ die Schuld. „Durch uns wurden unschuldige Zivilisten nicht vorsätzlich getötet“, hieß es. Die von Reuters angestrengte Aufklärung des Falls verlief im Sande. Bis auf Augenzeugenberichte, die vom Beschuss der Journalisten durch amerikanische Kampfhubschrauber sprachen, gab es keine Beweise für eine absichtliche Tötung.

Das ist jetzt anders. Seit bei Wikileaks Originalbilder aus der Bordkamera eines der beteiligten Apache-Hubschrauber öffentlich gemacht worden sind, ist die Abwiegelungsstrategie des Pentagon zusammengefallen wie ein Kartenhaus. Das halbstündige Video zeigt nicht Bilder eines Gefechts, sondern einer Hinrichtung. Dabei wurde den Reuters-Mitarbeitern zum Verhängnis, dass die Hubschrauberbesatzungen Noor-Eldeens Kamera für eine Waffe hielten, das Teleobjektiv für eine Panzerfaust. Zwei weitere Personen hatten überdies Kalaschnikows in der Hand. Von einer feindlichen Absicht der Gruppe ist nichts zu erkennen. Vielmehr schlendern acht Männer über einen staubigen Platz in der irrigen Annahme, die Hubschrauber über ihren Köpfen hätten es auf andere abgesehen. Tatsächlich fanden Kämpfe in der Nähe statt, die Noor-Eldeen wohl auch dokumentieren wollte.

„Light’em all up.“

„Come on, fire.“

Aus heiterem Himmel schlagen die Salven im Asphalt, in Häuserwänden ein und reißen die Menschengruppe von den Beinen. Noor-Eldeen rennt weg, sucht Deckung, stürzt.

„Keep shoot’n.“

Die schwarz-weißen Bilder und der ebenfalls aufgezeichnete Sprechfunkverkehr sind das wieder einmal erschreckende Zeugnis von der Verrohung des Menschen durch den Krieg. Ein Beweis auch für die absolute technologische Überlegenheit der amerikanischen Armee und ihrer „fliegenden Augen“, die jedes Detail erkennen und ihre Geschosse zielgenau abfeuern. Es sind solche Präzisionswaffen, sogenannte Smart Weapons, die eine militärische Großoperation wie den Irakkrieg oder den Einsatz in Afghanistan für die USA wieder führbar gemacht haben. Denn sie halten die eigenen Verluste gering und konzentrieren die Vernichtungskraft auf eng begrenzte Bereiche wie jene Straßenkreuzung in Bagdad, auf der am Ende zwölf Menschen sterben und zwei Kinder schwer verletzt werden.

Darüberhinaus ist der Krieg durch die Elektronisierung auch für die Soldaten zum visuellen Ereignis geworden. Ein Ego-Shooter-Spiel mit echten Toten, die sich die Piloten mit infantilem Geprotze vom Leib halten. „Oh, sieh dir das an“, bestaunt ein Bordschütze die Genauigkeit, mit der ein Projektil „direkt durch die Windschutzscheibe“ eines Autos gekracht ist. Sein Kollege kichert. Ihnen kann keiner. Das Dumme mit den „intelligenten Waffen“ ist, dass sie ihr Wissen nicht für sich behalten.

Allerdings bleibt ein Geheimnis, was den Pentagon-Mitarbeiter bewogen haben mag, das geheime Material über anonymisierte Pfade an die Onlineplattform Wikileaks weiterzuleiten. Früher hätte sich jener Unbekannte vielleicht an einen vertrauenswürdigen Journalisten gewandt und so eine aufwendige Recherche ins Rollen gebracht. Das Massaker von My Lai kam so ans Tageslicht, und den Amerikanern wurde deutlich vor Augen geführt, dass sie Vietnam in ein Schlachthaus verwandelt hatten.

Mag sein, dass im Pentagon wieder einmal der Frust darüber hochkocht, wie weit man es getrieben hat. Doch diesmal dringt das Material weitgehend ungefiltert an die Öffentlichkeit. Seine Beweislast wiegt schwer. Aber noch gewichtiger ist die emotionale Wucht der Bilder, die jeden, der sich informieren will, zum Voyeur und zur Geisel einer omnipotenten Kriegsmaschinerie macht. Man wird hineingezogen in ihren widerwärtigen Zynismus wie von einer Reality-Soap. Authentizitätsschock inklusive. Aber Krieg ist mehr, als die Bilder, die er verursacht.

(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 08.04.2010)

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