Bomben-Prestige
Bettina Vestring
Es ist ein Riesenschauspiel, das am Montag in New York begann: mit 189 Hauptdarstellern, einer Spieldauer von dreieinhalb Wochen, und der ganzen Welt als Publikum. Als einer der ersten – welch fabelhafte Dramaturgie! – betrat gleich der schlimmste Bösewicht die Bühne. Es war Mahmud Ahmadinedschad, der iranische Präsident, der im Verdacht steht, in seinem Land heimlich an der Atombombe bauen zu lassen. Ausgerechnet er gehörte zu den Eröffnungsrednern einer UN-Konferenz, die die Weiterverbreitung von Atomwaffen verhindern soll. So wurde schon gleich zu Anfang der Beratungen sichtbar, wie sehr der Atomwaffensperrvertrag in der Krise steckt.
Iran hat, wie jeder der 189 Unterzeichnerstaaten des Atomwaffensperrvertrags, ein Vetorecht gegen die Beschlüsse, die bei einer solchen Überprüfungskonferenz gefasst werden könnten. Alle Bemühungen, den Inspektoren mehr Befugnisse beim Auffinden und bei der Kontrolle von verdächtigen Atomanlagen zu geben, sind damit von vornherein zum Scheitern verurteilt. Dasselbe gilt für Versuche, etwaigen neuen Atommächten den Austritt aus dem Vertrag zu erschweren. Gegenüber Nordkorea, das 2003 austrat und sich kurz darauf zur Atommacht erklärte, war die Weltgemeinschaft hilflos.
Doch sind es nicht nur Schurkenstaaten, die die Politik der Nichtweiterverbreitung aushöhlen. Für den Umgang mit den Atommächten Israel, Indien und Pakistan, die den Sperrvertrag gar nicht erst unterzeichnet haben, gibt es kein Rezept. Schließlich gibt es noch das Problem, dass die fünf im Vertrag ausdrücklich anerkannten Atommächte ihrer seit 40 Jahren festgeschriebenen Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung nur höchst unvollkommen nachkommen.
All diese Schwierigkeiten werden von Überprüfungskonferenz zu Überprüfungskonferenz geschleppt; eine brauchbare Lösung ist noch nirgendwo zutage getreten, denn an keiner Stelle ist es der Welt gelungen, den entscheidenden Schritt zu tun: den Besitz von Atomwaffen wirksam zu ächten. Noch immer sind Atomwaffen der sicherste Weg zu Prestige, internationaler Bedeutung und regionaler Vormacht. Wer versucht, sich die Bombe zu beschaffen, muss allerlei Unbill in Kauf nehmen. Aber wer sie einmal hat, kann sich selbst vor den Angriffen einer Supermacht sicher fühlen. Er spielt auf der Weltbühne mit.
Lehrreich ist das Beispiel Frankreichs, einer regionalen Mittelmacht. Heute käme niemand mehr auf die Idee, Frankreich einen ständigen Platz im UN-Sicherheitsrat anzubieten; genauso wenig Verständnis hätte die Welt für die nuklearen Ambitionen eines solchen Staates. Nur eine einmalige und inzwischen auch schon weit zurückliegende historische Konstellation verhalf Frankreich zum begehrten Doppelstatus. Umso eifersüchtiger wacht die Grande Nation heute darüber. Ihre 348 alten und teuren Atomwaffen, die erst in tagelanger Arbeit überhaupt auf ein Ziel ausgerichtet werden müssten, hält sie für unverzichtbar. Die Konsequenz ist, dass Europa, das doch an der atomaren Abrüstung ein essenzielles Interesse hat, sich bei Verhandlungen in New York uneins und unglaubwürdig zeigt. Welch katastrophales Vorbild!
Erfolgreich hat die Welt den Einsatz von Atomwaffen geächtet; in den 65 Jahren seit Hiroshima und Nagasaki ist es undenkbar geworden, die Bombe im Zuge einer militärischen Kampagne einzusetzen. Was müsste nun geschehen, um auch den Besitz von Kernwaffen illegitim und unattraktiv zu machen?
Ein Teil der Antwort ist militärisch: Wenn es gelingt, konventionelle Waffen mit derselben Reichweite und Durchschlagskraft zu entwickeln, verlieren Atomwaffen einen Großteil ihrer Bedeutung. Auch die Entwicklung von Raketenschutzschilden, die Sicherheit vor feindlichen Atomraketen böten, hätte diesen Effekt. So pervers das klingt: Womöglich kann Aufrüstung helfen, die Atomwaffen zu marginalisieren.
Wichtiger ist auf jeden Fall die politische Antwort. Mit dem neuen Start-Vertrag haben die USA und Russland seit langer Zeit wieder einen Schritt unternommen, ihrer Verpflichtung zur Abrüstung nachzukommen. Weitere müssen folgen. Und sie müssen begleitet werden von der Abrüstung der kleinen Atommächte wie Frankreich und Großbritannien, deren Waffenbesitz rational schon lange nicht mehr zu begründen ist. Das Ziel sollte sein, einen neuen Vertrag zu schließen, der den Namen Atomwaffensperrvertrag wirklich verdient: ein internationales Verbot von Entwicklung, Herstellung, Besitz, Verbreitung und Einsatz von Atomwaffen, gültig für alle Staaten dieser Welt.
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Wer versucht, sich die Bombe zu beschaffen, muss Unbill in Kauf nehmen. Wer sie einmal hat, kann sich selbst vor Angriffen einer Supermacht sicher fühlen. Er spielt auf der Weltbühne mit.
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