Playing the Race Card

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Spiel mit der Rassenkarte

Von Dietmar Ostermann

22.07.2010

Als Barack Obama ins Weiße Haus einzog, war in den USA viel von der postrassistischen Gesellschaft die Rede. Mit der Wahl des ersten schwarzen Präsidenten, auch mit den Stimmen vieler Weißer, sollte das Land die Rassengegensätze überwinden. Anderthalb Jahre später ist von dieser Fiktion wenig geblieben. So unbestreitbar der Wandel ist, so wenig sind die USA mit Obama schon in einer quasi farbenblinden Normalität angekommen. Wer daran Zweifel hatte, kann dieser Tage beobachten, wie brutal die “Rassenkarte” gespielt, wie zynisch alte Wunden aus politischem Kalkül aufgerissen werden – und wie schwer sich auch die Regierung eines schwarzen Präsidenten mit dem Thema tut.

Gegenstand und Opfer der jüngsten Kontroverse ist Shirley Sherrod, bis Anfang der Woche Regionaldirektorin des Agrarministeriums in Georgia. Eigentlich könnte ihr Lebensweg ein Lehrstück für den Wandel sein: Sherrod wuchs als Tochter eines schwarzen Farmers im Süden auf, inmitten der unruhigen Bürgerrechtsära. Ihr Vater wurde 1965 von Weißen ermordet, die Täter wurden nie verurteilt. Die Tochter verschrieb sich dem Kampf gegen Diskriminierung, setzte sich für schwarze Bauern ein, die systematisch benachteiligt wurden.

Als 1986 zum ersten Mal ein weißer Farmer um Hilfe bat, dessen Land gepfändet werden sollte, zögerte Sherrod. Sie habe nicht alles getan, dem Mann zu helfen, räumte sie im März beim Bankett der Bürgerrechtsorganisation NAACP ein. Aber: “Durch die Arbeit mit ihm habe ich gesehen, dass es in Wahrheit um diejenigen geht, die nichts haben. Sie können schwarz, weiß oder hispanisch sein. Ich habe verstanden, dass ich armen Menschen helfen musste.”

Es war eine nachdenkliche Rede über innere Kämpfe und die Überwindung von Vorurteilen. Davon aber tauchte am Montag im Internet zunächst nur ein zweieinhalb Minuten langer Ausschnitt auf, der den Inhalt ins Gegenteil kehrte: Eben jene Passage, in der Sherrod bekennt, dem weißen Farmer nur bedingt geholfen zu haben.

Dann ging alles schnell: Prominente Scharfmacher stürzten sich im rechten Kampf-Sender Fox News auf die Story, warfen der NAACP und der Obama-Regierung “umgekehrten Rassismus” vor, forderten Sherrods Entlassung. Um politischen Schaden vom Präsidenten abzuwenden, drängte die Spitze des Landwirtschaftsministeriums die Frau zum Rücktritt. Selbst die NAACP distanzierte sich von Sherrod.

Inzwischen ist das Video in voller Länge aufgetaucht, weiß man, dass die Regierung einer Provokation des einschlägig bekannten Bloggers Andrew Breitbart aufsaß. Der Mann hält Obama für den Agenten einer kommunistischen Verschwörung und steht der Tea Party nahe, der Sammelbewegung konservativer Empörung. Die NAACP, Agrarminister Tom Vilsack, das Weiße Haus, selbst Fox-News-Einpeitscher – alle haben sich bei Sherrod entschuldigt.

Erledigt ist der Fall damit nicht, erst recht nicht für den Präsidenten. Viele Afroamerikaner sind empört, wie naiv die Regierung der Verleumdungskampagne aufsaß – und wie feige sie Sherrod fallenließ. Der schwarze Kolumnist Eugene Robinson aber spricht auch vom gezielten Versuch, diffuse Ängste zu schüren, “dass, wenn Afroamerikaner und andere Minderheiten einflussreiche Machtpositionen einnehmen, sie irgendeine Art von Rache an Weißen nehmen”. Von der postrassistischen Gesellschaft redet niemand mehr.

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