Begrenzter Traum
von Christoph Prantner
29. Oktober 2010
Warum es sich rächen musste, dass es Obama unterließ, seine Agenda den Wählern angemessen zu verkaufen
Holt eure Wonderbras und eure Forrest Gump-Videokassetten aus dem Schrank, die Stimmung wird wieder wie 1994″, ätzte Dana Milbank, die spitzeste Feder unter Washingtons Kolumnisten, mit Blick auf die kapitale Niederlage Bill Clintons bei dessen ersten Midterms unlängst in der Washington Post. Obama toure wie damals Clinton rastlos durch die US-Bundesstaaten, benutze beinahe wortgleiche Reden und werde wohl ebenso bei den Wahlen am kommenden Dienstag abgestraft werden wie sein Vorvorgänger im Amt.
Dass es so weit kommen wird, gilt inzwischen als ausgemachte Sache. Und die Spekulationen, wie Obama nach den Zwischenwahlen regieren kann – mit einem geteilten oder einem wie bei Clinton anno dazumal gänzlich an die Republikaner gefallenen Kongress -, schießen ins Kraut. Übersehen wird dabei allerdings das völlig unterschiedliche politische Umfeld zwischen Wonderbras 1994 und den enger geschnallten Gürteln 2010: Die USA nahmen in den Clinton-Jahren nach einem Stotterstart Fahrt auf zu einem beispiellosen Aufschwung. Unter Obama dagegen stolpern sie in die bedrohlichste Systemkrise, die die Vereinigten Staaten je gesehen haben.
Der politische Muskel der Staaten in Washington leidet unter Parteienparalyse, das auf Pump finanzierte Wirtschaftsmodell ist unhaltbar geworden. Ein großer Teil der Bürger wird sich über lange Zeit mit weniger bescheiden müssen, Stagnation ist ihre Orientierungsvokabel für die kommenden Jahre. Der amerikanische Traum vom Fortkommen für alle, die nur hart genug daran arbeiteten, hat seine Grenzen gefunden. Manche wollen das noch nicht wahrhaben und flüchten sich wie die Tea-Party-Schreier in Reminiszenzen. Andere, die Barack Obama mit seinem Change-Slogan 2008 noch aktiviert hatte, verabschieden sich wieder ins Unpolitische.
Obama hat fraglos viele Fehler in den vergangenen Monaten gemacht. Er hat mit seinem professoralen, abgehobenen Habitus die Öffentlichkeit genervt, sich einseitig auf seine Agenda konzentriert und es vor allem unterlassen, diese auch bei den Wählern angemessen zu verkaufen. Das musste sich rächen. Andererseits ist es wohl auch ungerecht, ihm jetzt die ganze – übrigens auch von Bill Clinton mitverschuldete – Malaise anzulasten. Immerhin sitzt heute einer im Weißen Haus, der den Ernst der Lage überreißt. Das war in den vergangenen Jahren nicht immer so. (Christoph Prantner, STANDARD-Printausgabe, 29.10.2010)
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