“Fair Game”: Wahrheit und Dichtung über George W. Bush
Von Malte Lehming
23.11.2010
“Fair Game” kommt ins Kino – und eine Frage stellt sich neu: Hat George W. Bush vor dem Irakkrieg über die angeblichen Massenvernichtungswaffen gelogen?
Am Donnerstag kommt ein Film ins Kino, den die Deutschen lieben werden. Er heißt “Fair Game” und schildert den Kampf eines amerikanischen Ehepaares um die Wahrheit, die im Krieg ja immer als erstes stirbt. Valerie Plame (CIA-Agentin, Naomi Watts) und Joe Wilson (Diplomat, Sean Penn) bekommen vor dem Irakkrieg heraus, dass entgegen eines vom britischen Geheimdienst gestreuten Gerüchts Saddam Hussein nie versucht hatte, im Niger 50 Tonnen Uran zur Herstellung von Atomwaffen zu kaufen. Doch keiner in der US-Regierung will das hören. George W. Bush wiederholt sogar die Behauptung. Als sich das Ehepaar daraufhin an die Öffentlichkeit wendet, wird es grob gemobbt. Beruflich und privat muss es schwer leiden.
Die Geschichte ist weitgehend bekannt. Und es wird nur wenige überraschen, wenn es nun in Filmkritiken über “Fair Game” heißt, wie abscheulich es war, dass Bush so dreist gelogen hatte. Auch als der Ex-Präsident jüngst seine Memoiren (“Decision Points”) präsentierte, waren dessen Lügen ein Topos in vielen Rezensionen. Der Irakkrieg begann mit Lügen und Fälschungen, nun erinnere sich Bush und lüge weiter, hieß es. Roger Willemsen, eine Art humanistisch gebildeter deutscher Michael Moore, sagte über Bush, die Lüge sei “stets sein Metier” gewesen. Der Irakkrieg biete dafür “eines der skrupellosesten Beispiele”.
Wie selbstverständlich die Annahme ist, Bush habe vor dem Irakkrieg über die mutmaßlichen irakischen Massenvernichtungswaffen gelogen, zeigt sich auch daran, dass eigentlich nie versucht wird, sie zu belegen. Der Grund dafür ist einfach: Es geht nicht. Wer diese Behauptung aufstellt, lügt selbst.
Jemand lügt, wenn er in Kenntnis der Wahrheit die Unwahrheit sagt. Wusste also Bush vor dem Irakkrieg, dass Saddam Hussein keine Massenvernichtungswaffen hatte? Dafür gibt es keine Indizien. Er selbst hat zwar vor zwei Jahren eingeräumt, dass seine Aussagen zu den Massenvernichtungswaffen der “größte Fehler” seiner Amtszeit gewesen seien, die Schuld dafür aber den Geheimdiensten gegeben. Die hätten ihn falsch informiert. Das mag man glauben oder nicht – widerlegt hat es bislang keiner.
Nun haben viele andere Einwände über die Praxis der Bush-Administration durchaus ihre Berechtigung. Ja, es gab eine frühe Irak-Obsession. Vizepräsident Dick Cheney und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld installierten bereits Anfang 2002 im Pentagon eine Arbeitsgruppe mit dem Titel “Office of Special Plans” (OSP), deren Aufgabe es war, Indizien über irakische Massenvernichtungswaffen wie Beweise aussehen zu lassen (Seymour Hersh hat das Verfahren prägnant beschrieben). Das Magazin “Newsweek” brachte im November 2003 eine Titelgeschichte mit der Überschrift “Cheney’s Long Path to War” – Cheneys langer Weg zum Krieg. Darin wird nachgezeichnet, welcher Tricks und Manöver sich Cheney bediente, um die USA in den Irakkrieg zu ziehen. Die CIA wurde instrumentalisiert, das Außenministerium unter Colin Powell ausgeschaltet, eine “Parallelregierung” etabliert, die das “eigentliche Machtzentrum” war. In Bob Woodwards Bush “Plan of Attack” ist gar von einem “Gestapo-Büro” die Rede.
Am 5. Februar 2003 schließlich stand Powell vor dem UN-Sicherheitsrat und präsentierte angebliche Beweise, maßgeblich vom OSP beeinflusst, über Iraks Massenvernichtungswaffen. Powell nannte diesen Auftritt später einen “Schandfleck meiner Karriere”. Allerdings treffe den damaligen CIA-Direktor George Tenet keine Schuld, weil selbst er von der Korrektheit der Informationen überzeugt gewesen sei. Das Fass zum Überlaufen brachte schließlich US-Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz, ein pronocierter Befürworter des Krieges, als er dem Magazin “Vanity Fair” sagte, die USA hätten nur aus “bürokratischen Gründen” Massenvernichtungswaffen als Hauptkriegsgrund genannt. Dies sei etwas gewesen, dem alle hätten zustimmen können.
Der demokratische US-Senator Henry Waxman hat ein Jahr nach Beginn des Irakkrieges alle Äußerungen der Bush-Regierung auf Fehlinformationen untersuchen lassen und bei 125 Auftritten insgesamt 237 Irreführungen registriert. Ausschmückungen, Unterlassungen, Verdrängungen, Übertreibungen waren die Regel, nicht die Ausnahme. All das aber belegt noch nicht die Behauptung, Bush selbst habe über die angeblichen irakischen Massenvernichtungswaffen gelogen. Niemand hat dies dem Ex-Präsidenten bislang nachgewiesen.
Warum aber war Bush nicht vorsichtiger? Warum behauptete er etwas, was er nicht wirklich beweisen konnte? Zur Erinnerung: Bush war nicht allein. Kein prominenter westlicher Politiker hat vor dem Irakkrieg öffentlich bestritten, dass Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen hatte. Es gab viele Skeptiker, die nicht überzeugt waren (zu Recht, wie sich im Nachhinein herausstellte), aber fest vom Gegenteil ausgehen, mochte niemand.
Denn alle Welt wusste: Der Irak hatte in den 80er Jahren Chemiewaffen hergestellt und im Krieg gegen den Iran eingesetzt. Er hat das auch später gegen die Schiiten und Kurden im eigenen Land getan. Gegenüber den UN-Waffeninspekteuren, die seit 1991 im Land waren, hielt Hussein sein Biowaffenprogramm geheim. Erst 1995 wurde es enttarnt. Anschließend begann zwar die Vernichtung der Bestände, aber als die Inspekteure 1998 das Land verließen, war die Vernichtung nicht abgeschlossen. Was aus den Resten wurde, weiß keiner, bis heute nicht.
Hatte Saddam diese Waffen heimlich zerstört? Hatte der Diktator grundlos die jahrelangen UN-Sanktionen gegen sein Land erduldet? Selbst UN-Chefinspekteur Hans Blix, ein vehementer Kritiker der Bush-Regierung, äußerte noch am Vorabend des Irakkriegs die “starke Vermutung”, dass im Irak noch ungefähr 10.000 Liter Anthrax existierten. Der Verbleib von “Tausenden Tonnen biochemischer Waffen” sei ungeklärt. Das deckte sich mit den Erkenntnissen vieler Geheimdienste.
Überdies hatte die UN-Resolution 1441 die Beweislast weder in die Hände der USA noch der Uno gelegt, sondern eindeutig in die von Saddam Hussein. Er musste nachweisen, was aus jenen Beständen an Nervengas und anderen biochemischen Waffen geworden war, die sich noch 1998 in seinem Besitz befanden. Er musste nachweisen, dass sämtliche verbotenen Trägersysteme zerstört worden waren. Sein 12.000 Seiten langer Bericht, den er im Dezember 2002 der Uno übergab, leistete das nicht. Wesentliche Fragen seien unbeantwortet geblieben, monierte Blix gegenüber dem UN-Sicherheitsrat.
Angesichts des katastrophalen Verlaufs des Irakkriegs mag man es für nebensächlich halten, ob Bush gelogen hat. Doch das ist es nicht. Ein Politiker kann fürchterlich irren und grottenfalsche Entscheidungen treffen. Ihn aber der Lüge zu bezichtigen, heißt, ihn nicht allein als töricht, sondern auch als böse zu stigmatisieren.
Ein Gutes freilich hat ein Film wie “Fair Game”. Der Irrglaube, Bush habe vor dem Irakkrieg über die Massenvernichtungswaffen gelogen, kollidiert nämlich frontal mit der Verschwörungsthese, dessen Regierung stecke irgendwie hinter den Anschlägen vom 11. September 2001. Denn wie können dieselben Menschen so raffiniert sein, heimlich den größten Terroranschlag in der Geschichte, mit mehr als 3000 Toten, zu inszenieren, und gleichzeitig so dämlich, im Irak nicht einmal zwei Fässer mit einer Biowaffe zu verstecken, um sie dann “zufällig” zu finden?
Es stimmt: Die Wahrheit stirbt im Krieg als erstes. Paradox aber wird es oft nach dem Krieg: Alle Kreter lügen, sagt der Kreter.
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