WikiLeaks and the Damage to Global Security

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Wikileaks und der Schaden für die Weltsicherheit

von Stefan Kornelius

30.11.2010

Die Wikileaks-Enthüllungen zeigen, wie gut der Auswärtige Dienst der USA funktioniert. Und doch richten sie großen Schaden an, weil sie die Vertraulichkeit der Diplomatie zerstören.

Die USA haben einen sehr ordentlichen diplomatischen Dienst. Wenn es ein schnelles und oberflächliches Urteil über eine viertel Million Dokumente aus dem amerikanischen Außenministerium geben kann, dann dieses: Die Botschafter liefern gute Arbeit ab. Etwa 250 Vertretungen unterhalten die USA auf der ganzen Welt, und überall sitzen Beamte, die mit politischem Verstand und analytischem Gespür die Verhältnisse klar und weitgehend korrekt darstellen. Manchmal tun sie dies mit patriotischem Überschwang, manchmal mit beneidenswerter Landes- und Menschenkenntnis, manchmal bestärken sie auch nur das Klischee vom bornierten Amerikaner.

Nach der Veröffentlichung der gestohlenen Depeschen, Analysen, Handlungsanweisungen und Kommentare drängt sich nun aber die Frage auf, wie lange die USA noch die Früchte ihres diplomatischen Dienstes genießen können. Die von der Internet-Organisation Wikileaks verbreitete Beute eines Datendiebes zerstört das Bindegewebe, das die unter Staaten übliche Kommunikation ausmacht: die Vertraulichkeit. Ohne Vertraulichkeit keine Information, kein Geben und Nehmen, kein Zugang. Ohne Information aber auch keine Kenntnis, keine Urteilskraft, keine richtigen Entscheidungen.

Wenn der US-Präsident eines Tages über den Stand des iranischen Atomprogramms richten muss und zu einem Luftschlag gedrängt würde, dann wünschte man ihm verlässliche Einschätzungen. Wenn die Konfrontation mit China über den Währungskurs wächst, dann braucht man besonnene Emissäre, die das Vertrauen der anderen Seite genießen. Wenn der Automobilkonzern Opel um deutsche Steuergelder bittet, dann möchte man einen sicheren Draht haben zur amerikanischen Regierung, weil sie beim Mutterkonzern GM mitentscheidet, was mit dem Tafelsilber geschieht.

Der Schaden für die USA ist nach der Veröffentlichung der Dokumente immens groß. Kein Platz auf der Welt, der nicht betroffen wäre von den Enthüllungen; keine Botschaft, die nicht brüskiert wurde. Die diplomatische Fassade ist abgebröckelt, dahinter zeigt sich, wie berechnend das Geschäft mit der internationalen Politik ist. Darin unterscheidet sich der amerikanische Dienst von keinem anderen der Welt. Deutsche Depeschen haben vermutlich nur weniger Humor.

Die Empörung über den Datenverrat ist gewaltig – das war nicht anders zu erwarten. Doch sie sollte sich zunächst gegen all jene richten, die den Verrat ermöglicht haben, die Amerikas Datensystem zum Selbstbedienungsladen für Gefreite am Server-Stecker und Hobby-Hacker verkommen ließen. Es gibt keinen Grund, warum Berichte des Botschafters in Berlin über die zaudernde Kanzlerin und den desinteressierten Außenminister von einer halben Million, manche sagen von zweieinhalb Millionen US-Bediensteten mitgelesen werden können.

Amerikas Informationsbeschaffungs- und Auswertungs-System ist anarchisch. Datensicherheit scheint ein Fremdwort. Besonders die von den Geheimdiensten gesammelten Datenmengen sind nicht mehr zu verarbeiten. In einer vertikalen Massenbürokratie, die Entscheidungen scheut und auf die wenigen Leute an der Spitze starrt, haben diese Berichte nichts verloren.

Fragwürdige Alleswisser-Allmacht

Die Empörung richtet sich auch gegen Wikileaks, weil sich der seltsame Verein mit seinem noch seltsameren Gründer an der Spitze in seiner Alleswisser-Allmacht suhlt. Einmal Gott bitte, in Terabyte-Stärke! Die Motive von Wikileaks sind unergründlich. Die Welt wird nicht sicherer, wenn jeder alles über jeden weiß – eher im Gegenteil.

Sollten die Medien deswegen nicht über die Daten berichten? Doch! Ohne die Medien wären die Dokumente unaufbereitet im Netz gelandet, mit frei lesbaren Namen von Informanten. Der Schaden wäre noch größer gewesen. Außerdem gewichten die Medien. Die Bespitzelungsanweisung der US-Außenministerin an die Mitarbeiter bei den Vereinten Nationen ist ein Skandal. Jede Zeitung hätte darüber berichtet, wäre sie über entsprechende Hinweise gestolpert.

Und dennoch wäre es am Ende das Beste gewesen, die Datenflut wäre nie aus den Computern gequollen. Die Masse der Berichte fällt unter die Rubrik gut informierter Tratsch. Alles, was der Botschafter in Berlin über die Bundesregierung schreibt, stand in allen Zeitungen. Und über Silvio Berlusconi meint man allemal schon genug gelesen zu haben.

Allerdings bleiben genug sensible Stoffe – Iran, Zentralasien, die arabische Welt, China und Nordkorea. Hier geht es um Krieg und Frieden, um Leben und Tod, hier ist das Urteil eines Diplomaten wichtig, hier wird mit Vertrauen gehandelt und mit Vertraulichkeit. Amerikas Vertrauenskonto ist nach der Veröffentlichung geleert. Ein Potentat in Zentralasien wird sich einem amerikanischen Botschafter gegenüber nicht mehr offenbaren. Das wird Amerikas Urteilskraft über das zentralasiatische Land nicht stärken. Beides zusammen genommen macht die Welt nicht sicherer.

Die USA ringen seit Jahrzehnten schon um ihre Glaubwürdigkeit in der Welt. Wikileaks hat sich nun als Massenvernichtungswaffe für das letzte Quäntchen Vertrauen erwiesen.

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