Anklage Assanges würde die freie Presse bedrohen
Claus Christian Malzahn
01.12.2010.
Sarah Palin würde Julian Assange am liebsten in Guantanamo einsperren. Doch es wäre gefährlich, ihn wegen Geheimnisverrat anzuklagen.
Wikileaks-Gründer Julian Assange wird ab sofort von Interpol gesucht. Nicht etwa, weil er Geheimnisverrat mit Hilfe von Medienpartnern zu einem journalistischen Prinzip erhoben hat. Sondern weil er im Verdacht steht, zwei Schwedinnen sexuell genötigt zu haben. Die Staatsanwaltschaft will Assange befragen. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis ihr dieses berechtigte Anliegen gelingt.
Die Frage, ob sich Assange dereinst in den USA auch für seinen offensichtlich politisch motivierten Enthüllungstrieb verantworten muss, ist ungleich schwerer zu beantworten. Mit den jüngsten Veröffentlichungen hat Wikileaks die US-Diplomatie ohne Frage in eine ihrer schwersten Krisen getrieben. Zwar machen viele durch die ungeschminkten Berichte bloßgestellte Politiker gute Miene zum bösen Spiel. Doch hinter den Kulissen ist man verärgert, wütend, verletzt. Der Schaden ist kaum gut zu machen.
Stammtischparolen in den USA
Auch deshalb überprüft die Obama-Administration, ob sie den Wikileaks-Messias nun anklagen kann. Sarah Palin nutzt die Gelegenheit, um dem Weißen Haus und dem State Departement Inkompetenz vorzuwerfen und fordert, man solle Wikileaks und seine Unterstützer behandeln wie die Terroristen von al-Quaida. Julian Assange ab nach Guantanamo?
Diese Stammtischparolen helfen den USA keinen Deut weiter. Dass Assange eine antiamerikanische Agenda verfolgt – am Mittwoch forderte er über Skype den Rücktritt von Hillary Clinton – ist seit Monaten kaum zu übersehen. Dass er großen politischen Schaden anrichtet, werden selbst seine Medienpartner kaum noch bestreiten können. Dennoch reicht das für ein Gerichtsverfahren in einer westlichen Demokratie glücklicherweise nicht aus.
Unkalkulierbarer Präzedenzfall
Grundlage einer Anklage könnte in den USA bisher nur ein Gesetz aus dem Kriegsjahr 1917 sein, das die Weitergabe geheimer Dokumente unter Strafe stellt. Völlig offen ist, ob es auch auf digitalisierte Daten angewendet werden darf. Eine vage Chance auf eine Verurteilung gäbe es nur, wenn man Assange der Anstiftung zum Geheimnisverrat überführen könnte. Damit schüfe man aber einen Präzedenzfall, der auch für investigative Journalisten wie den Watergate-Veteran Bob Woodward gelten müsste. Spätestens dann würde Assange eine Solidarisierung von Leuten erleben, die ihn heute scharf kritisieren.
Das Problem liegt nicht nur bei Wikileaks. Deshalb ist weniger der Staat als vielmehr eine selbstkritische Diskussion jener Medien gefragt, die die Internet-Ideologie der totalen Öffentlichkeit in eine findige Verkaufsstrategie verwandelt haben und die sich um die Kollateralschäden von Assanges Daten-Bombardierungen nicht weiter kümmern – auch wenn sie das nun krokoldistränenreich bestreiten.
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