Im Streit um Steuerzuckerln lässt sich der US-Präsident
von Republikanern demütigen
Im Streit um die Frage, ob in den USA die Steuersenkungen von George W. Bush nur für Menschen mit
Einkommen unter 250.000 Dollar im Jahr oder auch für die Reichen des Landes verlängert werden,
kämpfen die Republikaner mit harten Bandagen: Sie werden alle Gesetze, einschließlich einer dringend
notwendigen Verlängerung der Arbeitslosenhilfe, blockieren, solange die Steuerzuckerln für alle nicht
beschlossen sind, erklärte der designierte Kongressvorsitzende John Boehner. Die Mehrheitsabstimmung
im “alten” Repräsentantenhaus für eingeschränkte Steuersenkungen tat er grob als “Hühnerdreck” und
“Unsinn” ab.
Und wie reagiert Barack Obama auf diese Mischung aus Demütigung und politischer Erpressung? Der USPräsident
sendet ein Friedenszeichen, indem er das Einfrieren der Gehälter von Bundesbediensteten
verkündet, und erklärt, er sei zu allen Kompromissen bereit, nur damit die Arbeitslosenhilfe nicht ausläuft.
Die meisten Beobachter erwarten, dass Obama bald in die Knie gehen und die Steuererleichterung für
Millionäre auf Jahre, vielleicht für immer, verlängert wird.
Obamas zögerliches Vorgehen – der New York Times-Kolumnist Frank Rich spricht von einem “Stockholm-
Syndrom” gegenüber seinen politischen Geiselnehmern – in dieser Frage ist aus drei Gründen bestürzend:
Erstens wäre eine Verlängerung wirtschaftspolitisch ein katastrophaler Fehlgriff. Die USAerwarten für die
kommenden Jahre Rekorddefizite, die sich durch Einsparungen allein nicht bändigen lassen werden. Wer,
wenn nicht die Reichen und Superreichen, die von der Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahrzehnte so
viel mehr profitiert haben als die Normalbevölkerung, sollen dazu einen Beitrag leisten? Wenn es ein Land
gibt, in dem eine Reichensteuer angemessen wäre, dann die USA.
Zweitens handelt das Weiße Haus hier auch taktisch ungeschickt. Die Demokraten haben in der
Steuerfrage die Mehrheit der Amerikaner auf ihrer Seite und könnten die Republikaner hier als
Klientelpartei darstellen, die die Zukunft des Landes zugunsten ihrer reichen Förderer aufs Spiel setzt.
Wenn Obama diese Chance am Anfang der geteilten Regierungsmacht nicht nützt, dann muss man sich
fragen, was er je den Brutalomethoden der Republikaner entgegensetzen wird, um sich die Wiederwahl
2012 zu verdienen.
Und schließlich muss man – wie es viele seiner Anhänger bereits tun – Obamas Führungsqualitäten
hinterfragen. Pragmatismus ist eine Sache, aber wer gegenüber dem aggressiven Gegner im eigenen Land
nicht etwas Rückgrat zeigt, dem traut man auch nicht zu, in einem Nervenkrieg gegen Wladimir Putin, Kim
Jong-il oder Mahmud Ahmadi-Nejad zu bestehen.
Demokraten im Kongress leisten zwar mit ihrem Votum zugunsten niedrigerer Mittelstandssteuern
Widerstand, aber ohne Obamas Rückendeckung wird es ihnen nicht gelingen, jene Botschaft anzubringen,
mit der sie die Republikaner politisch unter Druck setzen könnten: dass ihre “Alles oder Nichts” -Position
schuld daran wäre, wenn am 1. Jänner 2011 die Steuern für alle Amerikaner steigen.
Gerade bei Gegenwind zeigen sich die Qualitäten eines Politikers. Wenn Obama in diesem schwierigen
Augenblick nicht bereit ist, für seine Werte zu kämpfen, dann verliert er das, was ihm die meisten seiner
Landsleute derzeit noch zugestehen: Respekt.
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