Bloß nicht das N-Wort
Von David Hugendick
6.1.2011
Eine neue Edition will Mark Twains “Huckleberry Finn” von seinem schmutzigsten Wort befreien. Das ist ein Verlust, keine Verbesserung.
James Finn Garner, ein amerikanischer Satiriker, parodierte die politisch korrekte Sprache anhand klassischer Märchen. Aus den armen Müllersleut im Rumpelstilzchen etwa machte er “wirtschaftlich Benachteiligte” und aus Cinderellas Liebreiz die “barbie-fixierte Vorstellung der Männer von begehrenswerter Weiblichkeit”. Was Garner damit vorführte, entspricht einer in den USA zuweilen gehörten Forderung: nach Sprachhygiene in literarischen Werken. Ein Buch, das bis heute damit zu kämpfen hat, ist Mark Twains Huckleberry Finn. Das wohl bestgehasste Buch des Landes seit 1885.
Den frommen Puritanern ging es damals um den Herumtreiber Huck, den sie als unzivilisiert und unmoralisch empfanden. Seit Jahrzehnten nun nehmen manche Politiker und Aktivisten Anstoß an dem Wort “Nigger”, das wie kein anderes für das Martyrium der schwarzen Amerikaner steht. Eine neue Edition soll es jetzt aus dem Werk verbannen und durch “Sklave” ersetzen. Insgesamt 219 Mal hat Alan Gribben das N-Wort gezählt. Er ist Professor an der Auburn Universität und Herausgeber der neuen Ausgabe, die im Februar erscheint. Vermutlich wird er damit ein paar verschreckte Eltern beruhigen und manch einem Lehrer die unangenehme Last nehmen, dieses Wort vor seinen Schülern auszusprechen. Was Gribben aber dem Werk antut, ist seine Enthistorisierung.
In das Werk aus jener Zeit gehört auch ihr Vokabular. Obwohl er umfassend widerlegt ist, hält sich in literaturwissenschaftlichen Anstandsaufsätzen der Glaube, Twain sei ein Rassist gewesen. Er war ein Chronist. In seiner Fortsetzung zu Tom Sawyers Abenteuer nahm er sich besonders der Probleme der Sklaverei und des Rassismus an. Er tat es in besonderer Weise, indem er als erster auch die gesprochene Sprache der Südstaaten literarisch verarbeitete, ihre Grammatik und Soziolekte. Deswegen dürfte “Nigger” im historischen Kontext seines Werks auch jedem noch so zartbesaiteten Leser zuzumuten sein. Zumal, da Twains ironischer Sozialkritik ein Stachel gezogen wird, sollte das besagte Wort künftighin fehlen. Wenn Alan Gribben beschreibt, wie er bei dem Ausdruck zusammenzuckt, so kann man Twain durchaus unterstellen, er habe genau diese Reaktion hervorrufen wollen. Dass der Unterschied zwischen dem richtigen und dem beinahe richtigen Wort ein erheblicher ist, hatte der Schriftsteller damals schon angemerkt.
Es erscheint bequem, diese Passagen nun zu ersetzen und sich vom Ballast amerikanischer Geschichte zu befreien. In der langen Editionsgeschichte ist es nur ein weiterer Versuch, das Buch ideologisch zu züchtigen. In der DDR wurden Stellen wegen kapitalistischer Anmutung gekürzt, in einer Kinderausgabe aus den Siebzigern werden seitenlang Zäune gestrichen. “Moralische Turnübungen” nannte Twain seinerzeit die ersten Reaktionen auf sein Buch, die er geahnt und freilich auch provoziert hatte. Dass aber seinem Roman ausdauernde Zensoren und Verbotsanträge im Namen der Political Correctness folgen würden, hätte sich selbst ein Misanthrop wie er vermutlich nicht träumen lassen. Dass man so tun will, als habe es die Sprache weißer Barbarei nie gegeben.
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