Der Gegner wird zum Feind
von Markus Ziener
01/10/2011
Der Mordanschlag auf die Kongressabgeordnete Gabrielle Giffords lässt sich nicht als Tat eines einzelnen Verwirrten abtun. Hass und Verachtung für den politischen Gegnern spalten das Land, das US-Präsident Obama versöhnen wollte.
Auch wenn die Motive des Schützen von Arizona noch nicht eindeutig geklärt sind: Die Schüsse fielen in einem Amerika, das seit langem politisch tief gespalten und von offenem Hass geprägt ist. Der Verfall der politischen Kultur begann während der Präsidentschaft von George W. Bush, der mit dem Irak-Krieg das Land spaltete. Die Kontroverse über den Waffengang gegen Saddam Hussein wurde ideologisch und nicht entlang den Fakten geführt. “Patriotische” Amerikaner, die die Invasion unterstützten, standen gegen Liberale, denen vorgeworfen wurde, die islamistischen Gefahren zu verkennen. Als es kurz nach der Amtsübernahme durch Barack Obama um die Reform des Gesundheitswesens ging, wiederholte sich dieses Szenarium. Die Verfechter des wahren Amerika wüteten gegen diejenigen, die mit der Einführung der Versicherungspflicht für (fast) alle die Bürger angeblich bevormundeten und amerikanische Freiheitsideale verrieten.
Von da an gab es kein Halten mehr: Obama wurde als “Killer” gebrandmarkt, als einer, der die Menschenwürde nicht achte und Amerika in eine sozialistische Gesellschaft verwandeln wolle. Polarisierende Fernsehshows und spezielle Internetseiten provozierten eine Lawine der Wut mit dem Ziel, die Demokraten bei den Kongresswahlen zu schlagen. Gehör verschafft sich inzwischen nur, wer die Schraube der Eskalation immer noch eine Umdrehung weitertreibt. Vor diesem Trend scheint niemand mehr sicher: Als die Republikaner vergangene Woche ankündigten, in wenigen Tagen im Kongress über die Aufhebung der Gesundheitsreform abzustimmen, etikettierten sie diesen Akt in dramatischer Übertreibung als das Ende für Obamas Gesetz, “das Jobs killt”. Die Liste der verbalen Entgleisungen und persönlichen Diffamierungen ließe sich problemlos verlängern. Wer anderer Meinung ist, gilt als Feind. Der Schritt zur Gewalt ist da nicht weit.
In diesem Klima geht der Respekt vor dem politischen Gegner verloren. Völlig unklar ist, wie parteiübergreifende Entscheidungen über Defizitabbau, Budgetkürzungen und Schaffung von Arbeitsplätzen gelingen sollen. Eine der nächsten Handlungen des neuen Kongresses etwa ist die Anhebung der Obergrenze für die Staatsverschuldung, um sicherzustellen, dass die USA auch weiterhin ihre Staatsanleihen bedienen können. An sich für jede US-Regierung eine Routineangelegenheit, wurde die Abstimmung bereits zu einer Entscheidungsschlacht zwischen Konservativen und Liberalen hochstilisiert. Die Republikaner verlangen für ihre Zustimmung absurderweise nun eine Gegenleistung der Demokraten und behandeln die Sache so, als ginge es um Parteipolitik.
Vielleicht wird nach dem Anschlag von Arizona wenigstens für einen Moment innegehalten. Vielleicht hört man wenigstens für einen Moment wieder auf die Vernunft und nicht auf die Hassprediger. Dass der Kongress diese Woche eine Auszeit nimmt, ist ein gutes Zeichen. Aber es ist allenfalls ein Anfang, mehr nicht.
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