Am Gipper scheiden sich die Geister
Von Frank Herrmann
04. Februar 2011
Am Sonntag wäre Ronald Reagan 100 Jahre alt geworden
Bis heute ist der frühere US-Präsident und Verfechter von möglichst wenig staatlichen Eingriffen eine umstrittene Figur – und ein Vorbild, selbst für Barack Obama.
Witwe Nancy wird einen Kranz niederlegen, standesgemäß vor der Präsidentenbibliothek im kalifornischen Simi Valley. Militärjets werden aufsteigen, um Salut zu fliegen. In der Halbzeitpause des Super Bowl, des Football-Finales, wollen sie ihm ein Video widmen. Sohn Ron sorgt unterdessen für Furore, weil er in einem Memoirenband erzählt, sein Vater habe bereits an der Alzheimer-Krankheit gelitten, als er noch im Weißen Haus residierte.
Am Sonntag wäre Ronald Reagan 100 Jahre alt geworden. Großer Bahnhof. Die Feuilletonspalten sind voll von Essays, Barack Obama will reden, wenn auch nur kurz. “Das Vorbild” , titelte das Magazin Time und meint damit, dass Obama dem Verblichenen in manchem nachzueifern versucht.
Als der Exgouverneur Kaliforniens 1981 ins Amt zog, wurde er von vielen belächelt als alternder Schauspieler, der nebenher ein bisschen Politik machte, fast so, als wäre das Oval Office ein Hollywood-Set. In der Rezession stieg die Arbeitslosigkeit, seine Beliebtheitswerte purzelten, die Republikaner bezogen Prügel bei der ersten Kongresswahl der Ära Reagan. Dann erholte sich die Wirtschaft, mit seinem “Morning in America” auf den Lippen wurde der Gipper, wie sie ihn nach einer Kinorolle nannten, zum Inbegriff des fröhlich pfeifenden Optimisten. Beim Abschied, im Jänner 1989, war er neben Franklin D. Roosevelt der populärste scheidende Präsident, den das Land hatte, seit es Umfragen gibt.
Kein Wunder, dass Obama das Kapitel akribisch studiert, in der Hoffnung, ein ähnliches Comeback hinzulegen. Im Weihnachtsurlaub auf Hawaii las er den 800-Seiten-Wälzer des Reagan-Biografen Lou Cannon, was sein Pressestab prompt an die große Glocke hängte. Und was er neulich für die Zeitung USA Today schrieb, klang fast wie späte Reue, hatte er sich als Student doch heftig aufgelehnt gegen den Konservativen. Reagans “Führungsrolle in der Welt” lasse sich ebenso wenig bestreiten wie seine Gabe, mit Amerika zu kommunizieren, lobte Obama.
Spiel mit dem Feuer
Egal, die Geister scheiden sich weiter am Gipper. Es war Reagan, der die Sowjetunion das “Reich des Bösen” nannte und viele Milliarden in die Rüstung steckte, um den Rivalen in die Knie zu zwingen. Unter den US-Demokraten sehen ihn viele als Kalten Krieger, der bisweilen mit dem Feuer spielte. Doch es fällt auf, wie die Schwarz-Weiß-Raster vielfarbiger werden. “Gewiss, sein Kern war der Antikommunismus” , sagt der Princeton-Historiker Sean Wilentz. Aber derselbe Reagan, der in Berlin rief, Michail Gorbatschow möge die Mauer niederreißen, habe erstaunlich schnell verstanden, dass es Gorbatschow ernst meinte mit seiner Perestroika. Walter Mondale, 1984 sein Herausforderer, vergleicht ihn mit einem bellenden Hund, der selten beißen wollte: “In Wahrheit war er ziemlich vorsichtig” . Andere sehen ihn heute einfach als Ronald im Glück: Zufällig war er in dem Moment Präsident, als die UdSSR zu implodieren begann.
Was Amerikaner am stärksten beschäftigt, ist freilich nicht das Vorspiel zum Mauerfall. Vielmehr ist es der Paradigmenwechsel, der sich in den Achtzigern vollzog. Dem aktiven Staat, wie ihn Roosevelt mit seinem New Deal symbolisierte, stellte Reagan seine zuspitzende Polemik entgegen: “Die Regierung ist nicht die Lösung, die Regierung ist das Problem” . Republikaner wie John Boehner oder Mitt Romney verehren ihn dafür wie einen Heiligen.
Bei genauerem Hinsehen ist auch das eher ein Mythos. Reagans Rüstungsoffensive stand auf Kriegsfuß mit seiner Spar-Rhetorik, sodass der Anteil der Bundesausgaben am Bruttosozialprodukt nur marginal sank, von 22 auf 21 Prozent. Und: Unter Reagan verdreifachte sich das Budgetdefizit. (Frank Herrmann aus Washington/DER STANDARD, Printausgabe, 5.2.2011)
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