America: One Nation, Two Economies

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Ein Land, zwei Ökonomien

Von Rainer Rupp

12.02.2011

USA: Präsident und Medien bejubeln Aufschwung. Börsenkurse steigen, Profite sprudeln. Doch Exarbeitsminister Reich sieht Mehrheit der Bürger weiter in der Krise

Die »Rolle der USA als Führungsmacht und als strahlendes Licht der Welt« werde von der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung entschieden. Deshalb seien nun besondere Anstrengungen nötig. Mit derlei Phrasen hatte US-Präsident Barack Obama am 25. Januar an den Patriotismus seiner Landsleute appelliert. In seiner Rede zur Lage der Nation gewährte er auch ungewollt einen tiefen Einblick in sein eigenes, von großer Nähe zur Wall Street geprägtes Verständnis von wirtschaftlichem Aufschwung und Wohlergehen. »Zwei Jahre nach der schlimmsten Rezession, die die meisten von uns jemals erfahren haben, sind die Börsenkurse wieder mächtig gestiegen, ebenso die Gewinne der Konzerne. Die Wirtschaft wächst wieder«, so Obama. Offensichtlich sind wirtschaftlicher Wohlstand und Fortschritt für den Präsidenten synonym mit kräftigen Gewinnsteigerungen für Unternehmer und Börsenspekulanten.

Was ist aber mit den fast zehn Millionen Menschen, die durch die Krise ihren Job verloren und von denen die meisten immer noch keine neue Arbeit gefunden haben? Deren Sicht der Dinge ist Obama und den Politiker-Multimillionären, die zum Großteil die Administration und den Kongreß bevölkern, fremd. Eine der wenigen Ausnahmen ist der Ökonom Robert Reich, der unter Präsident William Clinton Arbeitsminister war. In einer vernichtenden Analyse bezeichnete er jüngst die Entwicklung in den USA als die hin zu einem gespaltenen Land, das faktisch zwei Ökonomien hervorgebracht habe.

Laut Reich gibt es auf der einen Seite die Wirtschaft »der reichen Typen von Wall Street und Washington«, die von der derzeitigen Börsenhausse profitierten, die auf einem Berg von Bargeld in Höhe von über 1000 Milliarden Dollar sitzen. Das hatte ihnen die US-Notenbank Fed praktisch zinslos – und somit selbst nach den Lehren der bürgerlichen Wirtschaftswissenschaften kostenlos – zur Verfügung gestellt. Auf der anderen Seite gebe es die Ökonomie der großen Mehrheit der US-Amerikaner. Die müßten weiter leiden, weil für sie die Krise längst nicht vorüber ist. Diese Menschen hofften zu Millionen, daß die Unternehmen neue Jobs schaffen, während die Konzerne und Trusts Arbeitsplätze weiterhin in Billiglohnländer exportierten – sehr zum Wohlgefallen der großen Finanzkonzerne, die von dieser Praxis kräftig profitierten, so Reich.

Anfang Februar machte das US-Arbeitsamt jedoch mit einem überraschend kräftigen Rückgang der Arbeitslosigkeit Hoffnung. Obwohl im Januar netto nur 36000 neue Stellen geschaffen wurden, sei die Quote von 9,4 auf 9,0 Prozent (insgesamt sind bei dieser Quote 13,86 Millionen Menschen betroffen) zurückgegangen. Seltsam, denn um einen Rückgang um 0,4 Prozent zu erklären, hätten über 600000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden müssen. Einen Hinweis auf die statistischen Manipulationen hinter den Kulissen liefert die nachfolgende Meldung der US-Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg vom 4. Februar: Die Quote im Januar »fiel deshalb so stark, weil die Zahl der Arbeitslosen um 590000 zurückging«. Wie aber sollte das gehen, wenn netto nur 36000 neue Stellen geschaffen wurden? Zum Beispiel so: Jeden Monat fallen all jene Menschen aus der offiziellen Arbeitslosenstatistik heraus, die länger als 99 Wochen ohne Beschäftigung sind. (Ab diesem Zeitpunkt bekommen sie kein Arbeitslosengeld mehr.)

Weiter liest man bei Bloomberg: »Auch ein Rückgang der Zahl der Erwerbsbevölkerung um 162000 im Januar half, die Arbeitslosenrate nach unten zu drücken.« Also wurden hier Menschen, die offiziell nicht mehr als Arbeitssuchende registriert sind, einfach aus der Erwerbsbevölkerung gestrichen. Jeden Monat drängen jedoch aufgrund des Bevölkerungswachstums 125000 Menschen neu auf den Arbeitsmarkt. Auch die werden in der offiziellen Arbeitslosenstatistik nicht erfaßt.

Das hindert US-Politiker und ihre Hofschreiber nicht daran, die angeblich sinkende Arbeitslosigkeit als Beweis für einen robusten wirtschaftlichen Aufschwung anzuführen. Faktisch jedoch steigt die Zahl der US-Bürger, die arbeiten möchten, aber keinen Job finden, weiter an. Selbst die Tatsache, daß im Januar die durchschnittliche Arbeitszeit pro Mitarbeiter in der US-Privatwirtschaft von 34,3 auf 34,2 Stunden pro Woche gesunken ist, deutet nicht auf einen Konjunkturaufschwung. Höher fallen lediglich die Profite der Unternehmen aus. Denn die Produktivität steigt, was bedeutet, daß bei gleicher oder gar sinkender Zahl von Arbeitern mehr Output aus der Belegschaft gepreßt wurde.

Die Krise in der von Exarbeitsminister Reich definierten »zweiten US-Ökonomie«, also in der Welt der Arbeiter und kleinen Angestellten, ist längst nicht vorbei. Zwar hat der Konsum in den zurückliegenden Monaten wieder etwas angezogen. Das aber war nur möglich, weil die US-Amerikaner wieder so gut wie nichts gespart haben und sich zudem erneut über Kreditkartenausgaben höher verschuldeten.

Der Konsumrausch in den USA vor der Krise wurde durch Kredite finanziert, die bei rasant steigenden Immobilienpreisen durch zweite und dritte Hypotheken aufs Eigenheim abgesichert wurden. Dies ist jetzt nicht mehr möglich, da auch in diesem Jahr die Zwangsversteigerungen von Eigenheimen unvermindert anhalten und zugleich die Immobilienpreise weiter sinken werden. Die vielgepriesene Erholung des Konsums in der »größten Volkswirtschaft der Erde«, wie die Vereinigten Staaten gern genannt werden, dürfte daher nur ein Strohfeuer sein. Zudem mehren sich die Zeichen, daß die schon lange befürchtete Inflation allmählich Fahrt aufnimmt, obwohl die offiziellen Statistiken bezüglich der Preissteigerungen noch stärker manipuliert sind als jene bei den Arbeitslosen.

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