The Saudi Kingdom Is Silent — and Paying

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Das saudische Königreich schweigt – und zahlt

02.03.2011 | 18:19 | KARIN KNEISSL (Die Presse)

Eine politische Niederlage wie in Ägypten lässt sich für die USA und Israel auch in Saudiarabien nicht völlig ausschließen. Auch diesen Wüstenstaat könnte die „Jasmin-Revolution“ noch kräftig aufwirbeln.

Wiegten sich Experten Anfang Februar in der Illusion, die Golfstaaten seien gegen Revolten wie in Tunesien oder Ägypten gefeit, „da es den Menschen dort doch so gut ginge“, revidieren nun manche ihre Position. Der steigende Erdölpreis führt offenbar zu diesem Umdenken, da die Finanzmärkte ein Übergreifen der Unruhen auf wichtige Erdölproduzenten am Golf erwarten.

Es wäre nicht das erste Mal, dass der Erdölpreis von Geopolitik bestimmt nach oben klettert, auch wenn Angebot und Nachfrage nicht dafür sprechen. Entscheidendes haben manche Analysten in Brüssel und Washington aber noch nicht begriffen: Es finden keine Brotrevolten statt, sondern politische Revolutionen, wobei eine neue Generation ihre Rechte einfordert. Die „Jasmin-Revolution“ könnte auch das saudische Königreich noch aufwirbeln, wie es bereits in den Nachbaremiraten Bahrain und Oman der Fall ist.

Gerne wird der Vergleich mit 1989 unternommen, als die kommunistischen Regimes nacheinander fielen. Eine Referenz zu 1848 wäre auch eine denkmögliche Variante. Denn so wie damals in halb Europa die Studenten auf die Barrikaden gingen, um den absolutistisch herrschenden Häusern eine Verfassung abzuringen, so verlangt die Mittelklasse von Marokko bis in den Golf die Anerkennung wesentlicher Grundrechte.

Keine „Citoyens“ am Golf

Die Emanzipation vom Untertanen zum Bürger mit all seinen Rechten und Pflichten ist im Gange. Ein „Citoyen“ konnte sich vor allem am Golf bisher nicht entwickeln. Wer keine Steuern zahlt, bestimmt nicht mit. Diese alte Regel trifft vor allem auf ein Land wie Saudiarabien zu, wo die Untertanen mit saudischem Pass mit großzügigem Sozialvertrag von ihrem Lehensherrn, dem König, verwöhnt werden und so auch keine Forderungen stellen.

Der Wohlfahrtsstaat für eine privilegierte Gruppe geht gut, solange ausreichend Mittel vorhanden sind. Mit dem Verfall des Erdölpreises in den 1990er-Jahren warnte der damalige Kronprinz und heutige König Abdullah davor, dass die „fetten Jahre“ vorüber wären. Saudiarabien konnte dank unerwarteter Erdöleinnahmen ab 2004 sein Defizit konsequent abbauen und sich und seine archaische Gesellschaftsstruktur ins 21.Jahrhundert retten.

Das Leid der US-Agenten

Als die Weltöffentlichkeit erfuhr, dass 15 der 19 mutmaßlichen Attentäter vom 11. September 2001 Saudis waren, setzte ein massives „Saudi-Bashing“ ein. Doch die erstmals harsche Kritik der USA an der saudischen Politik, der Menschenrechtslage und terroristischen Verbindungen konnten der alten Brücke zu Washington nichts anhaben.

Der frühere CIA-Mitarbeiter Robert Baer beschreibt in seinem Buch „Sleeping with the Devil“ die Auswüchse der saudischen Verstrickungen und das Leid der US-Agenten, die stets vom Weißen Haus zurückgepfiffen wurden, wenn sie eine „Saudi Connection“ zu Terrorpaten aufdeckten. Doch es galt offenbar der alte Spruch des früheren saudischen Ölministers Yamani, wonach Ölallianzen solider als katholische Ehen wären.

Der Stamm der Sa’ud konnte dank seiner Allianz mit den Muslimbrüdern der Wahabiten die anderen Stämme ab den 1920er-Jahren unterwerfen. Die Haschemiten, die früheren Scherifen der heiligen Stätten von Mekka und Medina, wurden vertrieben.

Die Briten und später die USA setzten auf die Sa’uds. Die Allianz wurde 1947 mit US-Erdölkonzessionen geschmiedet. Das theokratische Saudiarabien war zudem der beste Verbündete in der Eindämmung des Kommunismus sowie sämtlicher nationalistischer arabischer Bewegungen.

Bollwerk gegen den Iran

Gegenwärtig versteht sich Saudiarabien als Bollwerk gegen den Iran. Dank WikiLeaks wissen wir: König Abdullah drängte die USA zu einem Angriff auf den schiitischen Nachbarn am Golf. Seit Anfang November war der König, der circa 83 Jahre und Kettenraucher ist, in New York hospitalisiert. Dort wurde der invalide Monarch sowohl von den peinlichen WikiLeaks-Berichten als auch von den Revolutionen überrascht.

Vor Kurzem kehrte er nach Riad zurück und kündigte sogleich populistische Sozialprogramme in Höhe von 36 Milliarden Dollar an. So sollen Kredite für Häuser erleichtert werden. Der knappe Wohnraum ist ein dringendes Problem angesichts der wachsenden Bevölkerung von gegenwärtig 18 Millionen.

Saudische Scheckbuchdiplomatie nach außen und innen hat Tradition. Dank Petrodollars begann das saudische Königreich bereits in den 1970er-Jahren seinen Radius finanziell zu untermauern. Regierungen, wie zuletzt jene des Libanon unter Premier Saad Hariri, Fundamentalisten von Westafrika über den Kaukasus bis nach Südostasien wurden geschmiert. Gezahlt wurden aber auch karitative Werke aller Art im Balkan ebenso wie im restlichen Europa.

Der saudische und damit extremistische Einfluss der wahabitischen Muslimbrüder wurde nur durch ein Umdenken in den USA nach dem 11. September kurzfristig unterbrochen. Doch nun zeichnet sich Zittern um den Fortbestand der saudischen „Garanten für Stabilität“ ab. Eine politische Niederlage der USA und auch Israels wie in Ägypten ist in Saudiarabien nicht auszuschließen.

Es heißt, dass ein solcher Volksaufstand das Land am 11.März erreichen könnte. Saudiarabien produziert täglich rund neun Mio. Fass Erdöl und verfügt über Ausfallskapazitäten, um einzuspringen, wenn andernorts die Produktion einbricht, wie dieser Tage in Libyen. Wenn man bedenkt, dass die USA erst kürzlich ihr größtes Waffengeschäft aller Zeiten – nämlich Rüstung für die Saudis im Umfang von 60 Milliarden Dollar – abgeschlossen haben, fragt man sich: Wie kann Washington – um Arbeitsplätze daheim zu sichern – außenpolitisch derart fahrlässig handeln. Denn niemand kann heute sagen, in wessen Hände das neue Arsenal einmal fallen wird.

Sorge um ein Machtvakuum

Zudem sorgt man sich, dass nach dem Tod des kranken Königs ein Machtvakuum entsteht. Zwar wurde die Nachfolge rechtlich neu geregelt, doch ein Erbstreit unter den hunderten Prinzen ist nicht auszuschließen. Dringender erscheint für Riad, ein Übergreifen der Revolution zu verhindern. Doch wenn der Jemen fällt, wird über die dortigen Stämme so mancher Funke nach Norden übergreifen. Was dann herauskommt, wird sich unter anderem am Ölpreis ablesen lassen.

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