Die Vereinigten Staaten haben horrende Schulden. Wie kommen sie da wieder heraus?
Der Bund ist mit fast 100 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung verschuldet. Im dritten Jahr in Folge gibt der Staat so viel aus, dass sich allein sein aktuelles Defizit auf rund zehn Prozent beläuft. Trotzdem wächst die Wirtschaft nur zögerlich und kreiert unter dem Strich kaum Jobs.
Was so bedrückend nach Griechenland klingt, sind die Kerndaten der Vereinigten Staaten von Amerika anno 2011. Das kleine Griechenland hält die Finanzwelt in Atem, obwohl doch das große Land 6.000 Kilometer weiter westlich ebenfalls unter seinen Schulden zusammenbrechen könnte. Jedenfalls mangelt es nicht mehr an Warnzeichen. Die Rating-Agentur Standard & Poor’s warnt, seine Bewerter müssten das führende Land der Welt herunterstufen, wenn es die Schuldenwende nicht bald schaffe. Das führende Investmenthaus Pimco trennt sich von US-Staatsanleihen. Zu gefährlich, sagt ihr Anlage-Guru. Und das wirtschaftshistorische Gewissen Amerikas, die Washingtoner Ökonomin Carmen Reinhart, kann sich ein Szenario vorstellen, »in dem sich die USA eines Tages gezwungen sehen, mit ihren Gläubigern die Schulden neu zu verhandeln«.
Harte Worte sind das, die jedoch ihre Wirkung verfehlen. Die bei jeder Gelegenheit aufregungsbereite Welt weigert sich in diesem Falle, Angst zu haben. Für immer noch historisch niedrige Zinsen leiht sie den Vereinigten Staaten weiter die nötigen Milliarden – und mehr. Allein China hält weit mehr als eine Billion Dollar in amerikanischen Schuldpapieren. Mögen die USA ihre öffentlichen Schulden in den vergangenen acht Jahren auch auf über 14 Billionen Dollar verdoppelt haben, das Vertrauen ihrer allermeisten Gläubiger haben sie noch nicht eingebüßt.
Es ist das Vertrauen in eine Nation, die sich in den vergangenen 100 Jahren noch aus jeder finanziellen Klemme befreit hat, deren Niedergang mehrfach besiegelt schien und die dann umso stärker aus der Krise hervorging. Aus der Depression der dreißiger Jahre ebenso wie aus dem Schuldendesaster der achtziger Jahre samt dem 1987er Börsencrash oder aus dem Zusammenbruch der New Economy vor gerade einmal zehn Jahren. Stets hat sich Amerika gesundgestoßen, dank am Ende pragmatischer Politiker und genialer Erfinder – und weil die Welt mitbezahlte, wenn Amerika seine Schulden herunterinflationierte.
Was also sollte diesmal anders sein?
Die Antwort: gefährlich viel! Die größte Schwäche hat sich über die vergangenen zwanzig Jahre in die amerikanische Gesellschaft gefräst. Ihr fehlt die Mitte. Rasant haben sich die Reichen und die Armen im Land auseinanderentwickelt, so rasant, dass das oberste Prozent der Bürger fast ein Viertel aller Einkommen an sich zieht – doppelt so viel wie vor 25 Jahren. Amerika wuchs zuletzt fast nur noch für seine Reichen, die mittleren und unteren Schichten büßten im Schnitt sogar Kaufkraft ein. Und Jobs dazu.
Immer noch, nach drei Jahren der Konjunkturankurbelung, beklagen die USA eine Arbeitslosigkeit von neun Prozent. Fast die Hälfte der Jobsucher ist schon länger als sechs Monate ohne Broterwerb, ein echtes Armutszeugnis für das flexibelste Industrieland der Welt. Und noch eine Zahl gehört hierher: Rund ein Viertel der Männer ohne College-Abschluss zwischen 25 und 54 Jahren lebt joblos. Eine Besonderheit Amerikas war lange Zeit, dass die Unterklasse arbeitete, egal, was geschah. Jetzt muss der Staat für sie einstehen, und das kann er sich eigentlich gar nicht leisten.
Amerika ist in Arm und Reich gespalten, ebenso in die weltoffenen Küstenbewohner und die konservativen Inlandsbewohner, in links-alternative und rechts-religiöse Wähler, in Staatsfreunde und Staatsfeinde. Jede Dimension verstärkt nur die inneramerikanische Feindschaft, die jedes Sparprogramm im geteilten Parlament so schwierig macht.
Würden sich die griechischen Politiker zieren wie die amerikanischen, hätte die Welt Griechenland längst fallen gelassen. Die Washingtoner Polittaktiker beharken sich mit so einseitigen und mutlosen fiskalischen Plänen, dass an ein Aufatmen nicht zu denken ist. Fast roboterhaft verweigern sie die Große Koalition, die im entscheidenden Augenblick immer Amerikas Stärke war. Und so bleibt er weiter aus, der befreiende große Pakt, der das Ende aller fiskalischen Geschenke für die Wohlhabenden verbindet mit Einschnitten in Militär-, Renten- und Sozialprogramme. Der die Steuertarife von all den vielen, durch Tausende Lobbys erkämpften Ausnahmen befreit. Der eine Schuldenbremse vorsieht, die Amerika in den nächsten Jahren automatisch weiter zum Sparen zwingt. Ohne einen solchen Pakt wird es diesmal nicht gehen. China wird sich seine Dollarmilliarden nicht einfach wegschmelzen lassen, und irgendwann haben auch die Gläubiger aus anderen Teilen der Welt genug.
Niederlage und Sieg überlappen sich. Während Amerika in der Finanzpolitik versagt, freut sich die Nation über das Ende seines ärgsten Feindes Osama bin Laden. Bloß spricht es kaum jemand aus, dass Obamas Problem auch Osamas späte Rache ist. Und das nicht nur, weil die Kriege im Irak und in Afghanistan die USA schon einen Billionenbetrag kosteten. Erst in der aufgeladenen Atmosphäre nach den Anschlägen vom 11. September 2001 konnte Präsident George W. Bush die Reichen weiter mit Steuersenkungen und den Finanzsektor mit weiterer Deregulierung beschenken. Es ging um Höheres in Amerika als um ökonomische Vernunft. Die daraus resultierenden Übertreibungen verstärkten die Krise danach, unter der die USA heute noch heftig leiden.
Osama ist tot, aber Amerika ist weiter im Ausnahmezustand. Angeschlagen. Griechischer als die Griechen, wie es an der Wall Street sarkastisch heißt.
Natürlich haben die Vereinigten Staaten die wirtschaftliche Kraft zu gesunden. Die Erfinder im Silicon Valley, die heute nicht nur Google und Facebook hervorbringen, sondern auch Elektroautos und die Steuerung intelligenter Stromnetze. Die Einwanderer, die partout als Unternehmer reüssieren wollen. Die Kultur des Risikokapitals, das Innovation finanziert und nicht nur Spekulation. All das und viel mehr reichte allemal, die immensen Schulden von 45.000 Dollar pro Amerikaner abzuschütteln. Dazu kommt das historische Glück, dass China und Co. mit ihrer Wachstumsdynamik den Vereinigten Staaten Zeit verschaffen zu gesunden. Der Westen geht nicht gleich unter, wenn Amerika einmal eine kurze Auszeit zum Vernünftigsein nimmt.
Kommen muss die amerikanische Wende aber, und zwar bald. Entscheidend ist nicht die Wirtschaft der USA, entscheidend ist ihre Gesellschaft. Rückt sie nicht zusammen, bricht Amerika auseinander.
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