Edited by Simone Stemper
Sparen ohne Ende
Von Klaus-Dieter Frankenberger
19. Juni 2011
Auch jenseits des Atlantiks beeinflusst die Schuldenkrise die Zukunftspläne: So schwindet etwa bei den Republikanern die Begeisterung für militärische Interventionen. Europa könnte öfter als bisher die Kastanien selbst aus dem Feuer holen müssen.
Wie schwierig es sein wird, einen Weg aus der Schuldenkrise zu finden, hat der neue portugiesische Ministerpräsident Coelho unumwunden eingestanden: Den Portugiesen stünden zwei furchtbare Jahre bevor. Die Opfer, welche den Griechen abverlangt werden, sind vermutlich noch größer, weil zur Schulden- noch eine Staatskrise hinzukommt: Das Land taumelt am Abgrund, die Massenproteste sind ein Ausdruck davon.
Das ändert nichts daran, dass an einer Politik eisernen Sparens und einschneidender Reformen kein Weg vorbeiführt. Und was für Griechenland und Portugal gilt, trifft mehr oder weniger für alle Länder der Europäischen Union zu: Die kommenden Jahre werden ganz im Zeichen des Sparens und der Konsolidierung der Haushalte stehen; für die Mitglieder der Währungsunion kommt die Verteidigung der Stabilität des Euro hinzu. Selbst in Zeiten einer „Arabellion“ werden das die Prioritäten der europäischen Politik sein und Energie und Aufmerksamkeit von Politik und Publikum beanspruchen. Damit steht Europa allerdings nicht allein.
Jenseits des Atlantiks sieht es nicht viel anders aus
Denn jenseits des Atlantiks sieht es nicht viel anders aus. Mittlerweile beginnt es auch vielen Amerikanern zu dämmern, dass die Verschuldung ihres Staates nicht auf die leichte Schulter zu nehmen ist und das Land auf eine ernste Fiskalkrise zusteuert. Nimmt man die strukturellen Verwerfungen der amerikanischen Wirtschaft hinzu, etwa die fortdauernd hohe Arbeitslosigkeit, dann kann man, ohne prophetisch begabt zu sein, leicht vorhersagen, wo der Schwerpunkt amerikanischer Politik liegen wird: jenseits von Afghanistan, auf der inneren Erneuerung, auf der Wiederherstellung des Gleichgewichts öffentlicher Haushalte.
Das überrascht auch nicht: Das eine war und ist das Kernanliegen des Präsidenten Obama, das andere haben sich die Republikanische Partei und mit besonderer Vehemenz ihr rechter Rand von der Tea-Party-Bewegung auf die Fahnen geschrieben. Dieser Teil des Spektrums der amerikanischen Politik hat übrigens gar nichts dagegen, dass auch der Verteidigungshaushalt unter das Messer kommt. Bei einer Gesamtverschuldung von rund zwölf Billionen Dollar kann es keine Schonungszonen mehr geben.
Rückzugsgedanken auch bei den Republikanern
Der Zwang zum Sparen steht freilich im Kontext einer außen- und sicherheitspolitischen Stimmungslage, die sich von derjenigen zu Beginn der Bush-Jahre, nach „9/11“, deutlich unterscheidet. Bei der ersten Debatte von Bewerbern um die Präsidentschaftskandidatur der Republikanischen Partei war von Begeisterung für militärisches Intervenieren und kostenintensives Engagieren in den Problemzonen der Welt nicht mehr viel zu spüren. Ob in diesen Rückzugsgedanken der Puls der Wähler schlägt, sei dahingestellt. Aber es gibt renommierte Politikbeobachter, die eine solche Rücknahme der weltpolitischen Rolle der Vereinigten Staaten für mehr als plausibel halten – siehe die Art und Weise, wie sich Washington am Libyen-Einsatz der Nato beteiligt.
Das ist der politische Zeitgeist-Hintergrund, vor dem der scheidende amerikanische Verteidigungsminister Gates neulich in Brüssel seine Brandrede gehalten hat. Zwangsläufig haben das neue Paradigma des „Sparen, sparen, sparen“ und das Gefühl militärischer Überanstrengung in den Vereinigten Staaten Auswirkungen auf die westliche Sicherheitspolitik. Gates ließ seine europäischen Zuhörer nicht darüber im Unklaren, dass im Kongress wie in der Bevölkerung generell immer weniger Neigung besteht, immer knappere Mittel für europäische Partner auszugeben, die nicht willens seien, selbst in und für die eigene Sicherheit zu investieren oder das Notwendige zu tun, damit sie ernsthafte und fähige Partner würden. Wem das nicht deutlich genug war, dem half Gates mit dem drohenden Zusatz auf die Sprünge: Werde der gegenwärtige Trend einer Abnahme in den europäischen Verteidigungsfähigkeiten nicht aufgehalten und umgekehrt, dann könne eine künftige amerikanische Führungsgeneration zu dem Schluss kommen, dass sich Amerikas Investitionen in die Nato nicht lohnten. Der Ertrag rechtfertige bei weitem nicht die Kosten – 75 Prozent aller Verteidigungsausgaben in der Nato, die heute 28 Mitglieder hat, werden vom amerikanischen Steuerzahler getragen. Während des Kalten Kriegs war das Verhältnis nicht annähernd so schief.
Europäer könnten öfter selbst die Kastanien aus dem Feuer holen
Gegen die Argumentation Gates’ lässt sich anführen, dass das Thema faire Lastenverteilung so alt ist wie das Bündnis selbst. Dieser Einwand stimmt – aber nur zum Teil. Denn er übersieht, dass sich die äußeren und die inneren Rahmenbedingungen grundlegend geändert haben. Heute wird vom relativen Abstieg der Vereinigten Staaten geredet und vom wirtschaftlichen Aufstieg gleich mehrerer Schwellenländer; und der Finanznotstand des amerikanischen Staates ist eben nicht ein Hirngespinst von ein paar leicht erregbaren Politikern, sondern etwas, was die Märkte für möglich bis real halten. Dass nur vier Länder neben Amerika mehr als zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungszwecke ausgeben, enthält gewaltig viel politischen Sprengstoff.
Die Europäer könnten also in der Zukunft öfter, als es ihnen lieb ist, mit dem Umstand konfrontiert werden, dass sie selbst die Kastanien aus dem Feuer holen müssen, weil die Amerikaner es nicht mehr für sie tun. Was ist, wenn sie dazu nicht in der Lage sind? Wird dann die jeweilige Lage schlicht ignoriert? Kümmert es sie überhaupt, dass sie offenkundig für kaum mehr relevant gehalten werden, vielleicht auch deshalb, weil sie schönen Partnerschaftsreden glauben, die bei anderen Gelegenheiten gehalten werden?
Zukunft der Nato hängt auch von der Ausstattung der Bundeswehr ab
In den jüngsten Verteidigungspolitischen Richtlinien des Verteidigungsministers de Maizière heißt es zutreffend: „Nur wer Fähigkeiten für eine gemeinsame Aufgabenwahrnehmung anbietet, kann im Bündnis mitgestalten.“ Und weiter: „Die Bundeswehr muss die notwendigen finanziellen Mittel erhalten, um einsatzbereite und bündnisfähige Streitkräfte zu erhalten, die dem Stellenwert Deutschlands entsprechen.“ Was also ist, wenn das Angebot für unzureichend befunden wird, wenn die Bundeswehr nicht hinreichend ausgestattet wird? Von der Antwort könnte die Zukunft der Nato abhängen.
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