Der Chef der Lobbytruppe Americans for Tax Reform hat die Republikaner geloben lassen, nie Steuern zu erhöhen. Damit steuert er die USA nun an den Rand des Abgrunds. von Stefan Schaaf, Berlin
2003, auf dem Höhepunkt der Popularität des republikanischen Präsidenten George W. Bush, reiste Grover Norquist zum 25. Jubiläum seines Jahrgangs der Harvard-Universität. Bei einer Podiumsdiskussion traf er auf seinen Ex-Kommilitonen Deval Patrick, der inzwischen demokratischer Gouverneur von Massachusetts geworden war.
Norquist warf die These in den Raum, dass die Republikaner wohl auf ewig Regierungspartei bleiben würden. Selbst wenn doch einmal ein Demokrat das Weiße Haus gewinnen sollte, so Norquist, “werden wir dafür sorgen, dass kein Demokrat mehr wie ein Demokrat regieren kann”.
Bescheidenheit war noch nie eine Charaktereigenschaft Norquists. Das hat seinen Grund: Der Chef der mächtigen Lobby-Organisation Americans for Tax Reform (ATR) ist wohl der wichtigste Mann in Washington, der sich noch nie einer Wahl stellen musste. Er sei der “dunkle Fürst der rechten Antisteuerbewegung”, schrieb die liberale Publizistin Arianna Huffington.
Mit seiner beinharten Ablehnung jeglicher Steuererhöhung regiert Norquist den Kongress von außen. Und zwar so stark, dass nun die USA am fiskalischen Abgrund stehen.
US-Präsident Barack Obama bestätigte Norquists Einfluss am Dienstag bei seiner Rede an die Nation. Das Wohlergehen des gewöhnlichen Amerikaners müsse dem Kongress wichtiger sein “als irgendein Gelöbnis, das jemand mal als Kandidat unterzeichnet hat”, sagte Obama. Jenes Gelöbnis stammt aus Norquists Feder. Von den derzeit 287 Abgeordneten und Senatoren der Republikaner haben es nur ein Dutzend nicht unterzeichnet.
Es verpflichtet sie, “sich allen Versuchen zu verweigern, die Einkommensteuersätze zu erhöhen oder bestehende Abschreibungsmöglichkeiten zu streichen, solange dies nicht zu weiteren Steuersenkungen führt”. Seit drei Jahrzehnten legt es Norquists ATR jedem Kandidaten für ein öffentliches Amt vor. Wer die Unterschrift verweigert, riskiert den geballten Zorn des rechten Flügels der republikanischen Basis. Solch ein Kandidat riskiert damit schlicht die Wiederwahl.
Norquist vereinte unterschiedlichste Interessengruppen
Norquist hat diese Gruppen und Grüppchen von Steuer- und Abtreibungsgegnern, Schusswaffenfreunden und Kongresshassern in jahrelanger Kleinarbeit vernetzt. Jeden Mittwochmorgen präsidiert er über ein Treffen von bis zu 100 Delegierten im ATR-Hauptsitz fünf Ecken vom Weißen Haus entfernt.
Stets betont er dabei den gemeinsamen Nenner dieser eigentlich höchst disparaten Interessengruppen: den Staat zurückzustutzen und den Individuen ihre Freiheit zu lassen. Da ist es nur konsequent, dass der mit einer muslimischen Palästinenserin verheiratete Methodist für Schwulenrechte, gegen eine Ausweitung der staatlichen Überwachung der Bürger, aber auch für freien Schusswaffenbesitz eintritt.
Im Vordergrund steht für ihn aber die Ablehnung neuer Steuern und jeglicher Eingriffe des Staates in Wirtschaft und Privatbesitz. Die Tea Party, das populistische Bündnis der Steuergegner am rechten Rand der Republikaner, wäre ohne seine jahrelange Vorarbeit nie so mächtig geworden.
Auch die in wenigen Tagen drohende Zahlungsunfähigkeit der USA ficht Norquist nicht an. Für das Haushaltsdefizit sei einzig die Größe des Staatsapparats und die ungezügelte Ausgabenwut Washingtons verantwortlich, schrieb er unlängst: “Für das Ausgabenproblem gibt es nur eine Lösung: weniger auszugeben!” Schon vor Jahren brachte er dies auf die Formel: “Ich möchte den Staatsapparat so weit verkleinern, dass ich ihn in der Badewanne ertränken kann.”
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