Warum der Kompromiss der US-Wirtschaft schadet
von Nikolaus Piper
01.08.2011
Der Staatsbankrott bleibt aus – und trotzdem ist der von US-Präsident Barack Obama verkündete Kompromiss aus ökonomischer Sicht ungenügend. Er löst keines der eigentlichen Probleme des Haushaltes, einige Elemente schaden der Wirtschaft sogar. Dass die USA von den Ratingagenturen auf Dauer die Spitzennote AAA erhalten, ist nicht garantiert. Nur eine Vorgehensweise könnte die Lage tatsächlich entspannen.
Die Vereinigten Staaten werden nicht den Staatsbankrott erklären, sie werden ihren Schuldendienst weiter so pünktlich leisten wie schon immer in ihrer Geschichte, und sie werden auch nicht gezwungen sein, Veteranen und anderen Bedürftigen ihre Monatschecks vorzuenthalten.
Bild vergrößern Amerikas Schulden: Fast 70 Mal haben die USA ihre Schuldengrenze seit 1960 bereits angehoben – klicken Sie auf die Grafik, um die Entwicklung der Schuldengrenze zu sehen sowie für eine detaillierte Auflistung der Kreditaufnahme unter den US-Präsidenten seit Ronald Reagan.
Buchstäblich in letzter Minute hat der US-Senat einen Kompromiss gefunden, der die Schuldengrenze erhöht, massive Haushaltskürzungen vorsieht und Präsident Barack Obama vor der Wahl 2012 eine zweite große Schuldendebatte erspart. Am frühen Montagabend sah es so aus, als würde der Kompromiss auch das militant konservative Repräsentantenhaus passieren, aber ganz sicher konnte man da nicht sein. Die Aktivisten der Tea-Party-Bewegung sind immer für eine Überraschung gut.
Vorausgesetzt, die politische Vernunft setzt sich durch und der Kompromiss des Senats wird Gesetz, dann sind die Vereinigten Staaten noch einmal davongekommen. Aber, und das ist die große Einschränkung: Keines der eigentlichen Probleme des Haushalts wird dadurch gelöst. Es ist keinesfalls garantiert, dass die USA auf Dauer die Spitzennote AAA von den Ratingagenturen behalten, die Zukunft der hoch gefährdeten Krankenversicherung der Rentner (“Medicare”) ist völlig offen. Und fast jedermann außerhalb der Republikanischen Partei weiß, dass der Haushalt nur durch eine Kombination von Einsparungen und Steuererhöhungen saniert werden kann.
Anzeige Die Steuerquote, also der Anteil der Steuern am Bruttoinlandsprodukt, liegt heute in den USA bei 18 Prozent und ist damit niedriger als in den frühen sechziger Jahren. Aber Steuern sind bei der republikanischen Basis tabu, und diese hat mittlerweile so viel Erpressungspotential, dass die Demokraten bei dem Thema schlicht kapituliert haben.
Einige Elemente des Kompromisses werden der US-Wirtschaft schaden. Die Kürzungen im Haushalt sollen sofort beginnen – zu einem Zeitpunkt also, zu dem die Wirtschaft so schwach ist, dass eine zweite Rezession wieder möglich erscheint. Die klassische ökonomische Antwort auf solch eine Situation würde heißen: langfristige Sparpläne vorbereiten, aber nicht unmittelbar umsetzen. Aber dieses Denken im ökonomischen Mainstream hat momentan in Washington keine Chance. Der Staat soll zurückgedrängt werden – koste es, was es wolle.
Präsident Obama wollte einen grand bargain, einen großen Kompromiss erreichen und ist den Republikanern weit entgegengekommen. Ausgezahlt hat es sich nicht für ihn; der Präsident geht aus dem Kampf um die höhere Schuldengrenze fast noch beschädigter hervor als der Kongress.
Dabei bräuchte Amerika genau dies: einen grand bargain, eine Verständigung darüber, wie viel die Bürger dem Staat geben sollen, wie die Lasten der unvermeidlichen Sozialreformen verteilt werden. Und nötig wäre ein Konsens darüber, wie viel sich die USA ihre Großmacht-Rolle kosten lassen wollen und welche militärischen Verpflichtungen sie für ihre Verbündeten noch eingehen wollen.
Die Verständigung wird irgendwann kommen, so flexibel war das politische System der USA bisher immer noch. Aber es ist gut möglich, dass der Kompromiss erst dann eine Chance hat, wenn das Umfeld der Weltwirtschaft noch viel ungünstiger ist als heute. Niemand kann fürs erste die Bürgerkriegsatmosphäre vergessen, in der der ganze Schuldenkampf stattgefunden hat. Das lastet auf Amerikas internationaler Reputation, oder, aus Sicht der Finanzmärkte: Die Dysfunktionalität Washingtons ist ein Risikofaktor, der künftig einkalkuliert werden muss.
Nun ist Amerika nicht Griechenland, alle Anspielungen in diese Richtung sind nicht ernst zu nehmen. Die Schulden machen knapp 100 Prozent der Wirtschaftsleistung aus und nicht 150 Prozent; der Kapitalmarkt ist ergiebig, und hinter allem steht eine leistungsfähige und produktive Volkswirtschaft. Trotzdem haben die amerikanische und die europäische Schuldenkrise miteinander zu tun. Noch nie in Friedenszeiten waren die Haushalte der Industriestaaten so verschuldet. Das bedeutet eine massive Schwächung des Teils der Welt, den man immer noch “den Westen” nennt.
Die Länder, die bis vor kurzem die Geschicke der Welt unter sich ausmachten, befinden sich in der Summe auf einem finanzpolitischen Weg, der nicht nachhaltig ist. Die Groteske, die in den vergangenen Wochen in Washington zu beobachten war, hat das eindrucksvoll unterstrichen.
Aber auch die Tatsache, dass Europas Schuldenkrise erkennbar noch nicht gelöst ist, kostet Einfluss in der Welt. “Das Gute für uns ist, dass wir uns mit Europa und Japan in einem Wettlauf um den Titel der finanziell verantwortungslosesten Supermacht befinden”, schrieb der amerikanische Autor Walter Russell Mead. “Und gegenwärtig haben die Europäer und Japaner einen substantiellen Vorsprung in dem Rennen.”
Man mag sich nach den vergangenen Tagen in Washington darüber streiten, ob es diesen Vorsprung wirklich noch gibt. Für Europa wäre das ein geringer Trost. Die Staatsschulden sind ein epochales Problem von globaler Dimension. Und dessen Lösung hat, bestenfalls, gerade erst begonnen.
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