Es war eine eigenartige Allianz: Der mexikanische Milliardär Carlos Slim bewahrte die “New York Times” 2009 mit einem Kredit vor der Insolvenz. Welche Motive der reichste Mann der Welt hatte, blieb unklar. Nun ist der Kredit getilgt – drei Jahre früher als gedacht. Dafür musste die Zeitung an vielen Dingen sparen.
Falls jetzt Erleichterung oder Genugtuung herrscht bei der New York Times, so sind Redaktion und Verlag bemüht, das nicht öffentlich zu zeigen. Keine Pressemitteilung des Verlags, kein Bericht im Wirtschaftsteil der Zeitung.
Dabei muss Montag doch ein Freudentag für die führende Zeitung des Landes gewesen sein: dreieinhalb Jahre vor dem fälligen Termin und ein halbes Jahr früher als angekündigt konnte die New York Times einen Kredit über eine viertel Milliarde Dollar an den mexikanischen Unternehmer Carlos Slim zurückzahlen. Das Geld rettete die verschuldete Times 2009. Aber es war ein ungeliebter Kredit, der unter Redakteuren und Lesern heftig umstritten war.
Angekündigt hat der Verlag die 2015 fällige Rückzahlung zunächst für 2012, dann im Juli für bereits den 15. August dieses Jahres; ein Sprecher des Verlags bestätigte der SZ jetzt die Tilgung. Verleger Arthur Sulzberger Jr. und Verlagsmanagerin Janet Robinson begründeten die Rückzahlung im Juli gegenüber Mitarbeitern mit dem Hinweis, dem Unternehmen gehe es dank zahlreicher Maßnahmen der vergangenen zwei Jahre finanziell besser.
Als der Mexikaner Carlos Slim, der es mit Telekommunikationsdiensten zu einem der reichsten Männer der Welt gebracht hat, im September 2008 bei der New York Times einstieg (er kaufte 6,9 Prozent der börsennotierten Anteile für 127 Millionen Dollar) und ihr außerdem im Januar 2009 einen Kredit über 250 Millionen Dollar gewährte, herrschte Untergangsstimmung in New York.
Sogar der Firmenflieger wurde verkauft
Es gab allerlei Gerüchte, die von einer feindlichen Übernahme durch Finanzjongleure der Wall Street über einen drohenden Verkauf bis hin zu einem Bankrott reichten. Um Schulden zu begleichen und trotz ausbleibender Anzeigen den Jahresetat der Redaktion in Höhe von rund 200 Millionen Dollar finanzieren zu können, musste die Times Hunderte Mitarbeiter entlassen, ein Stipendienprogramm einfrieren, den Verkaufspreis erhöhen, den Firmenflieger verkaufen, das neue Gebäude verkaufen und zurückmieten und den Eigentümern – der Familie Sulzberger – die Dividende streichen. Sogar von einer drohenden Insolvenz war damals die Rede. Die New York Post, das Boulevardblatt des Konkurrenten Rupert Murdoch, freute sich bereits über das nahe Ende der mächtigsten Verlegerdynastie des Landes, deren Zeit abgelaufen sei: “Run out of Times” lautete die Schlagzeile der New York Post.
Die Motivation für den Kredit blieb rätselhaft
Slims Kredit brachte Rettung, rief aber zugleich neue Ängste und Schreckensszenarien hervor – denn falls die Times ihn nicht zurückzahlen könnte, würde Slim dafür bis zu zehn weitere Prozent der Anteile erhalten. Slims Motivation für den Kredit gab Branchenbeobachtern und Lesern ein Rätsel auf. Er sprach von einem reinen Geschäftsinteresse, das einen Gewinn bringen soll. Aber konnte man ihm das glauben? Weil der Aktienkurs sank, verlor er Millionen mit seinem Investment. Wollte der Mexikaner die Sulzbergers etwa aus ihrem mit Schulden beladenen Verlag drängen und die Times irgendwann übernehmen? Ein Horrorgedanke für Redakteure, die sich schon als Befehlsempfänger von Slim sahen. Wollte er in den USA politisch Einfluss nehmen?
Der mexikanische Journalist Andres Martinez, der zeitweise für die Times schrieb, warnte, dass Slims Investment redaktionelle Entscheidungen beeinflussen würde. Als wollte sie diesen Eindruck widerlegen, druckte die New York Times ein kritisches Stück über den “dünnhäutigen” und “schweigsamen Medienbaron”, der in Mexiko ein Monopol kontrolliere und unangenehmen Fragen aus dem Weg gehe. Darin hieß es, Slim habe in seinem Land Zeitungen, die kritisch über ihn berichteten, mit Anzeigenboykott gedroht. Der Miami Herald bezeichnete Slim gar als “räuberischen Kapitalisten”, der seine Milliarden auch seinem Einfluss und der Nähe zur Politik verdanke.
Natürlich gab es Alternativen zu Slims Millionen. Spekuliert wurde, dass das profitable Medienunternehmen Bloomberg die Times übernehmen könnte. Aber der Finanzdienstleister gehört immer noch seinem Gründer Michael Bloomberg, der mittlerweile zugleich Bürgermeister von New York ist. Michael Bloomberg als Besitzer und Verleger? Das hätte die Times in große Schwierigkeiten gestürzt, denn wie sollte sie dann noch halbwegs kritisch über den Bürgermeister berichten? Interesse bekundete damals auch der schwerreiche Musikunternehmer David Geffen. Er hat dem Verleger der Times, Arthur Sulzberger Jr., angeboten, sämtliche Aktien des Medienunternehmens zu kaufen, den Verlag zu privatisieren und die Zeitung gemeinsam mit Sulzberger herauszugeben. Geffen bot sich an, den Verlag zu managen; Sulzberger sollte sich um redaktionelle Belange kümmern. Nach erfolgreicher Restrukturierung sollte die Zeitung in den Besitz einer gemeinnützigen Stiftung übergehen.
Der beste Verleger seit 100 Jahren
Dieses Szenario, über das 2009 die Zeitschrift New Yorker berichtete, schreckte Sulzberger offenbar. Die Familie hätte für immer die Kontrolle über ihre Zeitung und damit ihre Macht in der Stadt und im ganzen Land verloren. Sulzberger sagte Geffen ab. Slim muss ihm als das geringere Übel erschienen sein.
Unter Arthur Sulzberger Jr., der seit 1997 an ihrer Spitze steht, hat die Times 39 Pulitzer-Preise gewonnen. Doch zeitweise war diese Leistung in Vergessenheit geraten. Gay Talese, ein ehemaliger Reporter der Times, der das erste seiner brillanten Bücher über die Zeitung schrieb (den Klassiker The Kingdom and the Power), sagte 2005 über Arthur Sulzberger Jr.: “Alle paar Jahre bekommt man eben einen schlechten König.” Die Bemerkung hat den Verleger schwer getroffen damals; er weigerte sich fortan, mit Journalisten zu sprechen.
Im Juni nun sagte Talese, er habe sich damals getäuscht und seine Bemerkung tue ihm leid. Sulzberger habe die Zeitung durch die dunkelsten Zeiten des Journalismus geführt. “Der junge Sulzberger ging durch die Hölle.” Er könnte in die Geschichte der Times als der größte Verleger seit seinem Urgroßvater Adolph Ochs eingehen, der die Zeitung 1896 kaufte. Hatte Talese Arthur Sulzberger vor fünf Jahren noch als sicheren Versager gesehen, so gestand er ihm nun zu, gekämpft zu haben. Dass die Zeitung heute besser sei als je zuvor, sei ihm zu verdanken. Es war mehr als eine Wiedergutmachung. Ein größeres Lob hätte sich Sulzberger nicht wünschen können.
Slim macht 29 Millionen Dollar Gewinn
Der im September scheidende Chefredakteur Bill Keller sagte 2009, man werde vielleicht nur noch ein bis zwei Jahre Zeit haben, um ein neues Geschäftsmodell für die Finanzierung des Journalismus im Internet zu finden. Die erfolgreiche Pay Wall (siehe SZ vom Dienstag) war offenbar ein solcher Schritt. Der New York Times geht es mittlerweile besser, auch wenn der Verlag im dritten Quartal aufgrund der Tilgung vermutlich einen Verlust melden muss. Slim ist weiterhin zweitgrößter Aktionär, besitzt aber lediglich stimmlose Aktien. Sein Anteil bleibt bei rund sieben Prozent. Hätte die Times den Kredit nicht zurückzahlen können, wäre sein Anteil auf 17 Prozent gestiegen – und damit wohl auch seine Möglichkeit der Einflussnahme.
Der Kredit lief bis 15. Januar 2015. Die vorzeitige Rückzahlung erspart der Times jährlich 39 Millionen Dollar an Zinsen. Slim kann sich nicht beklagen und machte ein für seine Verhältnisse kleines Geschäft. Mit Zinsen erhielt er für seinen Kredit jetzt 279 Millionen Dollar zurück.
In New York herrscht nun vermutlich Erleichterung. Die passende Formulierung für die Rückzahlung fand sich in einem Bericht über die bevorstehende Tilgung vom Juli. Die Times, so schrieb ihr Reporter damals, werde sich mit der Rückzahlung an Slim von einer ihrer größten finanziellen Belastungen befreien. Die Times is “freeing itself”. Mehr als das: Sie hat sich von ihrem ungeliebten Retter befreit.
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