The U.S. Is Down, but Not Out

<--

Trotz schwerer Wirtschaftskrise ist das Potenzial Amerikas ungebrochen. Warum Untergangspropheten den Niedergang der USA wieder verfrüht beschreien.

Der Vorsprung des Untergangspropheten besteht darin, dass er auf jeden Fall recht behalten wird. Egal, welchen Untergang er voraussagt, ob den einer Herrscherfamilie, eines Staates, eines Imperiums, einer Idee, er wird eintreten, weil alle geschichtlichen Phänomene endlich sind. Die entscheidende Frage ist damit jedoch nicht beantwortet: Wann ist mit diesem Untergang wirklich zu rechnen?

Besonders häufig wurde und wird der Untergang der Vereinigten Staaten von Amerika vorausgesagt. Das begann spätestens nach dem amerikanisch-britischen Seekrieg 1815, als dem geschichtslosen Parvenü der internationalen Politik wenig Zukunft zugetraut wurde. Das ging weiter nach dem Zweiten Weltkrieg, als die zweite Supermacht, die UdSSR, das Wettrennen in den Weltraum gewann und über viele Jahre ein höheres Wachstum hatte.

Die Untergangspropheten und ihre Vorhersagen

Noch 1987, kurz vor dem Kollaps der Kreml-Macht, intonierte der amerikanische Historiker Paul Kennedy in seinem epochalen Werk über „Aufstieg und Fall der großen Mächte“ den Abgesang auf die USA, die ihre Kraft überdehnt hätten.

1992 schrieb der Wirtschaftsexperte Lester Thurow seinen Bestseller „Head to Head“ (Kopf an Kopf), in dem er einen Dreikampf zwischen den USA, Europa und Japan beschrieb. Thurow sah dabei Europa und vor allem Japan dank eines größeren Einflusses seiner Regierungen auf Wirtschaft und Industrie im Vorteil.

Seit 1998 prophezeit der russische Politikwissenschaftler Igor Nikolajewitsch Panarin in international beachteten Büchern, Aufsätzen und Vorträgen einen Bürgerkrieg in den USA und deren Zerfall in vier bis sechs Teilstaaten sowie die faktische Rückkehr Alaskas zu Mütterchen Russland. Der Schönheitsfehler: In seinem Szenario sagte der Professor von der Diplomatischen Akademie des Moskauer Außenministeriums das Chaos ausgesprochen konkret für den Sommer 2010 voraus. Doch trotz Wallstreet-Debakel, Immobilienkrise und Tea-Party ist von einer Auflösung der USA auch ein Jahr später nichts zu spüren.

Zur ökonomischen Krise gesellen sich militärische Schwächen

Gleichwohl ist die Krise nicht zu leugnen. Die Herabstufung der Kreditwürdigkeit der Vereinigten Staaten durch die Ratingagentur Standard&Poor’s war die Quittung für die Rekordverschuldung der öffentlichen Hand und die aus der Kontrolle geratenen Haushalte. Weil die US-Wirtschaft international nicht mehr wettbewerbsfähig ist, nimmt die Exportquote in der traditionell negativen Handelsbilanz weiter ab.

Zur ökonomischen Krise gesellen sich militärische Schwächen. Die Kampfhandlungen im Irak sind offiziell beendet, aber von „Mission Accomplished“ kann in dem von Gewalt gebeutelten und politisch fraktionierten Staat keine Rede sein. In Afghanistan wird mit hohem Blutzoll weitergekämpft, doch mit dem beschlossenen Abzug der US-Truppen und der Isaf ist die Rückkehr der Taliban an die Macht nur eine Frage der Zeit.

Zudem scheiterte die „smart power“ amerikanischer Diplomatie bei dem Versuch, den Iran und Nordkorea von ihren Nuklearwaffenprogrammen abzubringen. Selbst auf kulturellem Gebiet ist die Muskelschwäche der USA erkennbar. Bollywood, die Kinoindustrie Indiens, produziert mehr Filme und verkauft mehr Tickets als Hollywood, die führende Traumfabrik des 20.Jahrhunderts.

“Rise of the rest” – in China steigen Löhne und Wohlstand

Die USA erleben einen Niedergang, der seinesgleichen sucht. Doch der Untergang droht der Supermacht deswegen keineswegs. Das gilt auf militärischem Gebiet: Die Vereinigten Staaten wären weiterhin jeder denkbaren Koalition anderer Mächte dank Qualität und Quantität ihrer Waffensysteme überlegen. Das gilt ebenso auf wirtschaftlichem Gebiet: Zwar müssen die USA ebenso wie Europa und Japan den Aufstieg der übrigen Welt, „the rise of the rest“, akzeptieren und Märkte wie Profite teilen mit China, Indien oder Brasilien.

In der globalisierten Ökonomie ist vor allem Asien durch seine niedrigen Löhne zur Werkbank für Konsumgüter aller Art geworden. Darum kommen die USA von ihrer hohen Arbeitslosigkeit, die vor allem schlecht ausgebildete Schichten trifft, mittelfristig nicht herunter.

Allerdings steigen Wohlstand und Löhne auch in China. Irgendwann verlagern die Hersteller von Handelsgütern ihre Produktionsstätten erneut. Die USA haben gute Chancen, in naher Zukunft wieder Standort für internationale Fabriken zu werden, weil ihre Bevölkerung im Vergleich sehr gut ausgebildet ist und die Weltsprache Englisch die Lingua franca des internationalen Geschäfts bleibt. Der große Vorteil der USA liegt in ihrer schieren territorialen Größe.

Selbst wenn die Bevölkerungszahl von derzeit 311 Millionen Menschen entsprechend den Prognosen bis 2050 um fast 100 Millionen zunimmt, werden die Vereinigten Staaten nur ein Sechstel der Bevölkerungsdichte etwa Deutschlands haben. Darum bleiben die USA attraktiv für junge Zuwanderer, die die Konjunktur immer wieder ankurbeln, während Europa und China die Überalterung droht.

Die USA bleiben der Riese, an dem sich die Welt misst

Der größte Trumpf der USA für die Gewinnung der Zukunft liegt aber in ihrer politischen Stärke, und das ist die gelebte Idee der Freiheit. Die Bürger des neuen Rivalen, des autoritären China, werden niemals eine vergleichbare Innovationsbereitschaft entwickeln wie die Menschen in einer Demokratie. Unter dem Druck des Systems lässt sich in Chinas Fabriken Altes kopieren, zu selten aber Neues erfinden.

Die USA bleiben der Riese, an dem sich die Welt misst. Dieser Riese ist in der Tat müde, er taumelt sogar. Aber er ist nicht gestürzt. Wichtiger noch als die Größe seiner Volkswirtschaft ist die Spitzenstellung seiner Universitäten, an die weder Europa noch China oder Indien heranreichen. In der Nano- und der Biotechnologie, den Disziplinen der Zukunft, beherrschen die USA das Feld.

Doch die Amerikaner müssen die ideologische Zerstrittenheit ihrer radikalisierten Parteien beenden und pragmatisch-schmerzhafte Lösungen für ihre tiefe Finanz- und Wirtschaftskrise finden. Sie müssen zudem akzeptieren, dass andere Mächte aufgestiegen sind und Arbeit samt Wohlstand und damit auch die politische und ökonomische Macht neu verteilt werden.

Die Dominanz der Vereinigten Staaten nimmt ab. Aber sie wird auf absehbare Zeit nicht völlig schwinden. Die Untergangspropheten müssen sich also weiter gedulden.

About this publication