Weniger Verbrauch, größere Reichweite, mehr Komfort: Sehnsüchtig haben die Fluggesellschaften auf den Dreamliner gewartet – nun ist er da. Doch die 787 ist für Boeing zur Kostenfalle und PR-Katastrophe geworden. Das Fiasko dürfte künftige Innovationen verhindern, auch beim Konkurrenten Airbus.
Hamburg – Für Fluggäste soll der Dreamliner ein echter Traum werden: Er macht lange Strecken deutlich angenehmer, denn Luftdruck und Luftfeuchtigkeit in der Kabine einer Boeing 787 sind höher als bei bisherigen Modellen. Das macht das Fliegen weniger strapaziös. Außerdem sind die Fenster größer, der Geräuschpegel niedriger – und wegen des geringeren Treibstoffverbrauchs tut man noch etwas für die Umwelt.
Die Nachfrage nach dem neuen Superflieger ist groß, schon jetzt hat Boeing 821 Dreamliner verkauft, darunter 15 an die deutsche Fluglinie Air Berlin . Am Freitagabend wird nun das erste Exemplar ausgeliefert – an die japanische Fluggesellschaft All Nippon Airways (ANA).
Doch für Euphorie besteht beim US-Konzern kein Anlass. Denn die 787 ist alles andere als eine Erfolgsgeschichte. Die Entwicklung hat drei Jahre länger gedauert als geplant, die Kosten liegen mit mindestens 15 Milliarden Dollar fast dreimal so hoch wie kalkuliert. Und die Hoffnung, mit dem Dreamliner den europäischen Konkurrenten Airbus abzuhängen, hat Boeing längst aufgegeben.
Stattdessen könnte die 787 sogar zu einer echten Fortschrittsbremse werden: Denn das Fiasko, zu dem sich der Flieger für Boeing entwickelt hat, lässt die Industrie vor neuen Projekten zurückschrecken. Beide großen Hersteller halten sich mit Visionen zurück. Statt neue Hightech-Maschinen zu entwerfen, gehen Boeing und Airbus auf Nummer sicher – und nehmen nur kleine Anpassungen an den bestehenden Modellen vor. So verabschiedete der US-Konzern sich vor wenigen Wochen von dem Plan, einen neuen Kurzstreckenjet zu bauen. Nun will Boeing nur noch neue Triebwerke für die 737 entwerfen, am Rest des Fliegers soll sich kaum etwas ändern.
Statt des Höhenflugs vergangener Jahre macht sich bei Boeing also ein neuer Konservativismus breit: Weniger Risiko, mehr Konzentration auf die bekannten Modelle.
Zu viel Revolution auf einmal
Ende der neunziger Jahre, als das Dreamliner-Projekt entstand, klang das noch ganz anders. Da wollte der US-Konzern, getrieben von den Investoren, alles auf einmal. Zwei revolutionäre Schritte wurden gleichzeitig angegangen:
•Die 787 ist eine technische Revolution. Erstmals besteht der Rumpf komplett aus Kohlefaserstoffen. Der Flieger ist dadurch deutlich leichter, verbraucht weniger und hat eine größere Reichweite.
•Weite Teile der Produktion hat Boeing an Zulieferer ausgelagert. Diese fertigen große Stücke des Dreamliners, die Boeing-Mitarbeiter in Seattle dann nur noch zusammenschrauben.
Beide Schritte für sich waren bereits eine enorme Herausforderung. Aber zusammen überforderten sie den Konzern – und endeten im Chaos. Die Lieferanten waren mit dem modernen Kunststoff überfordert, lieferten Teile zu spät oder falsch. Zudem klappten die Absprachen überhaupt nicht: Statt fertig montierter Rumpfteile kamen schon mal Einzelteile, lose Klammern und Kabel an.
Der Konzern zog die Notbremse, holte viele Arbeiten zurück und kontrollierte die Zulieferer stärker. Doch die verlorene Zeit konnten die Manager nicht mehr wettmachen. Der angepeilte Auslieferungstermin von Sommer 2008 wurde komplett verfehlt, die Ausgaben von geplant 5,8 Milliarden Dollar dürften um das Dreifache übertroffen werden. Bis zu zehn Jahre könnte es dauern, bis Boeing seine Kosten wieder ausgeglichen hat.
Strategische Katastrophe
Die Gründe für das Debakel liegen laut dem Luftfahrtexperten Heinrich Großbongardt in der Hybris der neunziger Jahre: “Damals gaben die Finanzmärkte den Ton an. Investiert wurde nur, wenn man extrem ambitionierte wirtschaftliche Ziele vorweisen konnte.” Im Klartext: Um die immensen Renditen erzielen zu können, musste bei der Produktion gespart werden. Die komplette Lieferkette wurde umgestellt – statt auf eingespielte Verfahren zu setzen, lagerte Boeing weite Teile der Produktion an neue Partner aus.
“Nicht die Ingenieure haben gesagt, wo es langgehen sollte, sondern die Controller”, sagt Großbongardt, der damals Pressesprecher bei Boeing war. “Nur wenn Kosten von weniger als sechs Milliarden Dollar veranschlagt wurden, sollte das Projekt Dreamliner angegangen werden.” Für den Konzern war die Verzögerung aus strategischer Sicht eine Katastrophe. Denn wenn die 787 pünktlich vor drei Jahren auf den Markt gekommen wäre, hätte Boeing sich einen “enormen Innovationsvorsprung” vor Airbus sichern können, so Großbongardt.
Stattdessen treten Amerikaner wie Europäer auf der Stelle: Denn auch Airbus konnte die hohen Erwartungen an seine Hightech-Flieger nicht erfüllen. Sowohl beim Dreamliner-Gegenstück A350 als auch beim A380 kam es immer wieder zu Verspätungen und zusätzlichen Kosten. Der Wunsch, neue Abenteuer anzugehen, dürfte daher in den kommenden Jahren nicht allzu groß sein.
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