Obamas Gegner zwischen Wahn und Mittelmaß
Die Tea-Party-Bewegung treibt die Präsidentschaftskandidaten der Republikaner in aussichtslos rigorose Positionen hinein. Das verschafft Obama mehr Luft als er verdient.
Amerika ist eine Nation mit der Seele einer Kirche. Und: Die amerikanische Nation hat keine Ideologie, sie ist eine. Man muss an diese beiden Grundsätze aus einer Zeit erinnern, da sich in Amerika Christentum und Aufklärung zu einem Gemisch aus christlichem Republikanismus und demokratischem Glauben verbanden, um einigermaßen entspannt auf den Vorwahlkampf zu schauen, der heute mit den Vorwahlen für die republikanischen Präsidentschaftskandidaten in Iowa beginnt. Denn in jedweder Kirche ist nicht nur Gott, sondern auch das Pathos zu Hause.
Vorwahlkampf der Republikaner geht in heiße Phase
Romney 2012 Video abspielen
Das Pathos aber dient einem bestimmten Zweck, und – alle ahnen es: Nicht jede mit Inbrunst gehaltene Rede muss ernst genommen werden. Auch gilt in den Vereinigten Staaten, was überall im Westen eine Regel ist: Wahlen lassen sich nur in der Mitte gewinnen, weil die Mehrheit in der Demokratie (jedenfalls in Friedenszeiten) gemäßigt ist.
Die Republikaner und die Demokraten wissen darum. Seit jeher versuchen sie in den Vorwahlen, ihre radikalen Ränder für sich zu gewinnen, um im Hauptwahlkampf dann jegliche überspannte Ansicht fallen zu lassen und sich auf die Stimmung in der Mehrheit einzustellen.
Nicht einmal Reagan würde heute Vorwahlen gewinnen
Man darf also gelassen bleiben, wenn man sich im fernen Europa mit den Aussagen der republikanischen Präsidentschaftskandidaten vom Umfragekönig Mitt Romney bis zum Außenseiter Jon Huntsman beschäftigt. Dennoch wird auch der ruhigste Beobachter mit einigem Schaudern feststellen, wie intellektuell dürftig und rückwärtsgewandt die Kandidaten einer Partei daherkommen, die von Abraham Lincoln bis Dwight D. Eisenhower, von Ronald Reagan bis Georg Herbert Walker Bush immer wieder bedeutende Präsidenten hervorbrachte.
Nicht einmal die beiden zuletzt Genannten würden heute wohl die Vorwahlen in der eigenen Partei gewinnen. Obwohl Reagan in der republikanischen Partei gegenwärtig wie ein Gott verehrt und verklärt wird, wären sein “compassionate conservatism” und seine Lebensführung ein Stein des Anstoßes. Wer republikanischer Präsidentschaftskandidat im Jahr 2012 werden will, muss folgende Ansichten vertreten: Er oder sie muss für die Abschiebung von zwölf Millionen illegalen Einwanderern sein, von denen ein Großteil seit Jahren im Land lebt.
Die Vorwahl in Iowa
Seit 1972 findet in Iowa der erste Termin im Vorwahlkampf statt. Die Urwahl rückte erstmals 1976 in den Blickpunkt, als der Demokrat Jimmy Carter unerwartet gut abschnitt und später Präsident wurde.
Er oder sie muss jegliche Steuererhöhung ablehnen – und das, obwohl das Land finanziell am Rande des Abgrunds steht. Gleichzeitig muss der Kandidat versprechen, die 46 Millionen Amerikaner, die nicht krankenversichert sind, auch weiterhin ihrem Schicksal zu überlassen. Bedingung ist ferner, die Gefahr der Klimaveränderung nicht nur für einen linken Propagandatrick zu halten, sondern gleichzeitig anzukündigen, als Präsident im Weißen Haus die Umweltbehörde zu schließen.
Außenpolitik spielt im Vorwahlkampf keine Rolle
Davor freilich muss er oder sie dem Wahlvolk garantieren, die Schwulenehe selbst in den Bundesstaaten verbieten zu lassen, in denen sie seit Jahren erlaubt ist. Gut ist ferner, Israel in allen Bereichen einen Blankoscheck auszustellen und die Palästinenser als “sogenannte Palästinenser” zu bezeichnen, wie es Newt Gingrich tut. Gingrich vertritt allen Ernstes die These, es gäbe im Nahen Osten gar kein Palästinenserproblem, weil die Palästinenser nur Araber seien, die sich illegitimerweise eine neue Identität zugelegt hätten. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu könnte ihn eines Besseren belehren, wenn er gefragt würde. Wird er aber nicht. Außenpolitik spielt im Vorwahlkampf keine Rolle.
Unter dem Zeichen der Weltwirtschafts- und Finanzkrise hat in den Vereinigten Staaten nicht die Linke zugelegt, sondern die Rechte in Form der Tea-Party-Bewegung. Anders als “Occupy Wall Street” hat sie es in den vergangenen Jahren vermocht, Strukturen und eine Schlagkraft aufzubauen, die ihren Ideen eine Macht verschafft, von der “Occupy Wall Street” nur träumt.
Unter dem Einfluss der Tea-Party-Aktivisten versuchen selbst die republikanischen Kandidaten, die ein eigenes Profil besaßen, derzeit alles, um ihre Ecken und Kanten abzurunden: Newt Gingrich will nicht mehr daran erinnert werden, einst durchaus vernünftige Vorschläge zur Umweltpolitik veröffentlicht zu haben. Und während Rick Perry sich abrackert zu erklären, warum er, der texanische Gouverneur, für die Rechte von Kindern illegaler Einwanderer stritt, meidet Mitt Romney ein klärendes Wort zur Krankenversicherung, die er als Gouverneur von Massachusetts als konservative Antwort auf die Clinton-Reform einzuführen wagte. Es war nämlich nicht Barack Obama, sondern die konservative Heritage Foundation, die nach Clintons gescheiterter Gesundheitsreform eine einleuchtende Alternative für die Republikaner entwarf.
Republikaner haben Chancen Obama abzulösen
Kaum ein Republikaner wagt es heute, darauf hinzuweisen. Wer es dennoch tut, wird abgestraft und hat in den Vorwahlen keine Chance, wie etwa Huntsman, der trotz massiver Proteste bei seiner Haltung zur Homo-Ehe blieb und wohl auch deswegen für nur gut zwei Prozent der Republikaner als Präsident infrage kommt.
Sechs Republikaner wollen gegen Obama antreten
Romney 2012
Foto: dapd Die erste Vorwahl der US-Republikaner startete im Januar in Iowa. Aktueller Favorit ist Mitt Romney, er konnte sich knapp von seinen Mitbewerbern absetzen. Der Mormone und…
Besorgniserregend an der Lage ist, dass der republikanische Präsidentschaftskandidat – wer immer es auch werden wird – keine schlechten Chancen hat, Präsident Barack Obama aus dem Weißen Haus zu vertreiben. Denn auch eine weitere Regel amerikanischer Innenpolitik muss bedacht sein. Kein Präsident nach Franklin Delano Roosevelt hat es jemals geschafft, im Amt zu bleiben, wenn die Arbeitslosenrate in seiner Amtszeit über sieben Prozent lag.
Gerald Ford und Jimmy Carter könnten davon berichten (bei Ford 1976 lag sie bei 7,7, bei Carter bei 7,1 Prozent). Und auch Vater Bush weiß ein Klagelied davon zu singen. Im Jahr seines zweiten Wahlkampfes 1992 lag die Arbeitslosenrate bei 7,5 Prozent. Unter Obama ist sie auf 9,6 Prozent angestiegen.
Keine guten Aussichten für den Präsidenten. Wird er es dennoch schaffen, im Januar nächsten Jahres wieder ins Weiße Haus einzuziehen? Mit Blick auf seine Herausforderer ist man geneigt, ihm die Daumen zu drücken, ohne von ihm überzeugt zu sein. Wie gut wäre es für die westliche Welt, wenn er fähigere Herausforderer besäße. Eine ihrer großen Schwächen aber ist das Mittelmaß ihrer Eliten. Dies- wie jenseits des Atlantiks.
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