Flucht aus Verantwortung
Von Thomas Gutschker
04.02.2012
Amerikanische Kampftruppen werden Afghanistan schneller als gedacht verlassen. Je länger diese in Afghanistan bleiben, desto schwieriger wird es für Obama, den Einsatz als Erfolg zu verkaufen.
Vor zwei Wochen schienen bei Nicolas Sarkozy die Sicherungen durchzubrennen. Es stelle sich die Frage nach einer früheren Rückkehr der französischen Soldaten vom Hindukusch, donnerte der Präsident, nachdem ein afghanischer „Kamerad“ vier Franzosen hinterrücks erschossen hatte. Solche Tragödien hatten andere Nato-Staaten, Deutschland eingeschlossen, auch schon erleben müssen.
Und doch stellte kein Land deshalb die gesamte Strategie in Frage. Heute erscheint der vermeintliche Wutausbruch in einem anderen Licht: Hat Sarkozy nur ausgeplaudert, was die Amerikaner ohnehin planten? Verteidigungsminister Panetta machte diese Woche öffentlich, dass die amerikanischen Kampftruppen (von Spezialkräften zur Terroristenbekämpfung abgesehen) Afghanistan schneller verlassen sollen als bisher erwartet.
Die anderen Partner erwischte Panetta damit auf dem falschen Fuß – und weil sich die Nato-Verteidigungsminister in Brüssel trafen, konnten es auch gleich alle sehen. Die amerikanische Volte war im Bündnis weder vorbereitet noch abgesprochen. So mussten die Ressortchefs gute Miene machen und so tun, als sei auf dem Gipfeltreffen in Lissabon Ende 2010 nichts anderes beschlossen worden.
Irak als Vorbild
Das ist Augenwischerei. „Wenn wir auf Ende 2014 sehen, werden afghanische Truppen die volle Verantwortung für Sicherheit in ganz Afghanistan übernehmen“ – so steht es in der Abschlusserklärung jenes Treffens. Nato-Kampftruppen sollten im gesamten Jahr 2014 ihr „partnering“ mit afghanischen Verbänden fortsetzen. In deutscher Sprache: gemeinsam in Gebieten patrouillieren und kämpfen, die vormals von Aufständischen kontrolliert wurden. Die Bundeswehr hatte sich darauf eingestellt. Nach Panettas neuer Ansage wird die Schutztruppe Isaf „von Mitte bis Ende 2013 von einem primären Kampfeinsatz zu einer Trainings- und Beratungsrolle“ übergehen. Gewalt solle dann nur noch zur Selbstverteidigung eingesetzt werden. Panetta nannte den Irak als Vorbild, wo sich die Amerikaner auf wenige große Stützpunkte zurückgezogen haben, bevor sie ihre Kampfbrigaden nach Hause brachten.
Wenn das Pentagon daran Maß nimmt, werden die meisten GIs Weihnachten 2013 mit ihren Liebsten feiern können. Man braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, wie populär diese Parole im Präsidentschaftswahlkampf sein wird. Zumal Mitt Romney, der Obama im November herausfordern will, diesem sogleich auf den Leim gegangen ist und ihn scharf kritisiert hat.
Wenig Wirkung
Obama ist natürlich nicht „naiv“, wie Romney behauptete, und er dürfte eine ziemlich realistische Einschätzung der Lage in Afghanistan haben. Er weiß, dass es mit jedem Tag, den die Amerikaner länger dort bleiben, schwerer wird, den Einsatz als Erfolg auszugeben. Er glaubt nicht mehr daran, dass eine noch so große Kraftanstrengung das Land befrieden könnte. Er hat viel politisches Kapital für eine Truppenaufstockung riskiert – die wenig bewirkt hat. Die Taliban sind weit davon entfernt aufzugeben. Sie lassen sich hier und da vom Schlachtfeld kaufen, aber ihr Hass auf die Ungläubigen lebt fort. Und mit dem pakistanischen Geheimdienst wissen sie nach wie vor den verlässlichsten Partner der Region an ihrer Seite. All das lässt sich nachlesen in einem Nato-Bericht, der die Verhörprotokolle von 4.000 gefangenen Taliban zusammenfasst und nun ebenfalls den Weg an die Öffentlichkeit fand.
Für die Bundesregierung ist das Verhalten der amerikanischen Freunde eine Zumutung. Kanzlerin Merkel trägt die Phrase von der „Übergabe in Verantwortung“ wie ein Mantra vor. Deutsche Kommandeure werden nicht müde hervorzuheben, dass selbst der vom Bundestag beschlossene Personalabbau am Hindukusch bis Ende des Jahres von der Sicherheitslage abhängt. Dahinter steht der gute Wille, sich nicht aus der Verantwortung zu stehlen.
Nur noch Schadensbegrenzung
Und doch fehlen Deutschland die Mittel, diesen Willen auch nur ansatzweise durchzusetzen. Wenn die Amerikaner ihre Kampftruppen im Norden abziehen oder auch nur die Zahl ihrer Hubschrauber verringern, ist der Einsatz dort faktisch beendet. Dabei hat die Übergabe der Sicherheitsverantwortung in den umkämpften Gebieten nicht einmal begonnen.
Was die Amerikaner nun einleiten, ist keine Übergabe in Verantwortung, sondern eine Flucht aus Verantwortung – getrieben von der Einsicht, dass die afghanischen Verhältnisse keinen weiteren Blutzoll rechtfertigen und Al Qaida längst andere Operationsbasen gefunden hat. Nun bleibt nur noch Schadensbegrenzung. Amerikaner wie Deutsche müssen sich Gedanken darüber machen, was aus jenen Afghanen wird, die sich dem Westen verschrieben haben: den Fahrern, Übersetzern, Mitarbeitern – den „Verrätern“, in der Sprache der Taliban. Sie werden die ersten Verlierer sein, egal, wie sich die Kräfte nach dem westlichen Abzug sortieren. Im Irak haben die Amerikaner ihren einheimischen Partnern großzügig Green Cards geschenkt. Auch Deutschland, das schon früher Afghanen Zuflucht bot, sollte sich großzügig zeigen.
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