Erzitterte der Westen in den 70er-Jahren noch angesichts des ersten Ölpreisschocks, werden deutlich höhere Preise inzwischen als „normal“ hingenommen.
Als Anfang 2008 der Ölpreis das erste Mal auf über 100 Dollar je Fass stieg, war die Welt ob des Überschreitens der psychologisch wichtigen Marke in Aufruhr. Kann die globale Wirtschaft so einen hohen Preis aushalten, lautete die bange Frage. Die Antwort darauf war rund ein Dreivierteljahr später Makulatur. Die Pleite der US-Bank Lehman Brothers und die dadurch ausgelöste Wirtschaftskrise drückten die Ölnachfrage und damit auch den Preis wieder stark nach unten. Im Rückblick gesehen war der rasante Anstieg im Sommer davor Teil einer weltweiten Blase, die im September 2008 mit einem lauten Knall platzte.
Seit damals hat der Ölpreis jedoch ein zweites Mal kräftig zugelegt und liegt nun bereits seit mehr als einem Jahr über der einst so viel beachteten Schwelle von 100 Dollar je Fass. Auch diesmal könnte der Grund dafür eine Blase sein, deren Knall – sollte sie dereinst platzen – jenen von 2008 noch deutlich übertreffen dürfte. Denn laut vielen Experten steigt eigentlich nicht der Preis des Öls, sondern sinkt der Wert des Geldes. Grund dafür seien die angeworfenen Druckerpressen der Notenbanken in Europa und den USA. Hinzu kommt die Sorge um einen Ausfall der Straße von Hormuz – der „Aorta“ des Ölhandels – infolge eines möglichen Krieges gegen den Iran.
Doch was auch immer die konkreten Gründe für den neuerlichen Preisanstieg sind, Konsumenten und Wirtschaft müssen damit leben. Und das tun sie bisher außerordentlich gut. So war 2011 trotz eines zwischen 100 und 120 Dollar je Fass pendelnden Ölpreises ein konjunkturell ausgesprochen gutes Jahr. Für die Autoindustrie war es vielerorts sogar ein absolutes Rekordjahr. Kein Vergleich also mit den 1970er-Jahren, als der erste Ölpreisschock die Weltwirtschaft in ihre erste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg gestoßen hat.
Natürlich steigt vor allem den Konsumenten beim Blick auf die Zapfsäule auch heute regelmäßig die Zornesröte ins Gesicht. Vor allem in den USA, wo angesichts weitgehend fehlender öffentlicher Verkehrsmittel der Benzinpreis quasi die Fieberkurve des öffentlichen Wohlbefindens darstellt. Dieser psychologische Schein trügt jedoch. So waren Treibstoffe für die breite Masse noch nie so leicht leistbar wie heutzutage. Laut Berechnungen des Wifos musste ein Industriearbeiter 1980 noch 7,6 Minuten für einen Liter Superbenzin arbeiten, im November 2011 waren es nur noch 5,8 Minuten. Hinzu kommt, dass Autos – obwohl sie größer, stärker und sicherer geworden sind – heute deutlich weniger Treibstoff verbrauchen als vor 30 Jahren.
Eine ähnliche Entwicklung kann auch die Industrie vorweisen. So entkoppelt sich seit rund zehn Jahren das Wirtschaftswachstum langsam vom Energieverbrauch. Zudem nahm die Bedeutung von Öl im Energiemix der westlichen Industriegesellschaften seit den 1970er-Jahren ab. Dies zusammen ergibt, dass ein hoher Ölpreis nicht mehr automatisch eine Weltwirtschaftskrise nach sich zieht.
Und auch eine zweite Angst aus der Zeit des ersten Ölschocks hat sich inzwischen als unbegründet herausgestellt – jene vor der Endlichkeit des schwarzen Goldes. Prognostizierte der Club of Rome vor 40 Jahren, dass die globalen Ölreserven bei 600 Milliarden Fass liegen würden, wurden seither etwa 900 Milliarden Fass gefördert. Die gesicherten Reserven liegen heute bei knapp 1400 Milliarden Fass und steigen jedes Jahr weiter.
Denn ein hoher Ölpreis macht Fördermethoden möglich, die bis dahin als zu aufwendig und zu teuer gegolten haben. Dies dürfte mittelfristig auch die Bedeutung der Lieferländer verschieben. So liegen die größten Vorkommen an sogenanntem unkonventionellem Öl in Form von Ölschiefer in den USA – sie sind rund dreimal so groß wie die Reserven Saudiarabiens.
Der wirklich limitierende Faktor beim Verbrauch fossiler Rohstoffe dürften der CO2-Gehalt in der Atmosphäre und die damit verbundenen Klimaziele sein. Doch auch hier könnte der höhere Ölpreis Wirkung zeigen. Denn je teurer das schwarze Gold ist, umso attraktiver wird ein effizienterer Umgang oder der Ersatz durch erneuerbare Alternativen.
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