Warum der Krieg Soldaten verrohen lässt
Von Carsten Luther
Datum 20.04.2012
Wenn Soldaten Leichen schänden, lässt sich das psychologisch erklären. Die Erniedrigung des Feindes findet dabei nicht nur auf dem Schlachtfeld statt.
Soldaten, die mit nackten Gefangenen für ein Foto posieren, auf die Körper getöteter Taliban urinieren, das wahllose Massaker eines Army-Sergeants an afghanischen Zivilisten oder zuletzt die Bilder mit Leichenteilen eines angeblichen Selbstmordattentäters – wann immer solche Vorkommnisse an die Öffentlichkeit gelangen, lautet eine gängige Reaktion: So ist der Krieg. Einzelfälle seien das, die nicht die Professionalität und gute Arbeit des Militärs diskreditieren dürften. Schlimm, doch diese Dinge passierten eben.
Aber muss der Krieg so sein? Natürlich sind solche Auswüchse nur die logische Konsequenz dessen, was der Krieg mit denen macht, die ihn führen müssen. Sie lassen aber auch ahnen, wie viel Verantwortung bei denen liegt, die ihn angeordnet haben.
Das Wesen des Krieges ist das Töten, dem lässt sich nicht entkommen. Schon der Urvater der militärischen Strategie, der chinesische General und Philosoph Sun Tsu, schrieb in seinem Hauptwerk Die Kunst des Krieges: “An dem Tag, an dem ihnen befohlen wird, in den Krieg zu ziehen, kann es sein, dass deine Soldaten weinen.”
Aus gutem Grund, denn zum Krieg gehört auch die Angst. Aber nicht etwa nur jene, selbst getötet zu werden. Als einer der ersten fand der israelische Militärpsychologe Ben Shalit heraus: Die Furcht vor Verwundung oder gar dem eigenen Tod wird sogar schwächer, je mehr ein Soldat in Kämpfe verwickelt, also wirklich in Gefahr ist. Die Tränen versiegen, andere starke Emotionen überlagern die Todesangst. Plötzlich geht es in erster Linie darum, die Kameraden nicht im Stich zu lassen und für die gemeinsame Sache einzustehen.
Für das Töten konditioniert
In jedem Fall ist der Krieg eine emotionale Belastung, die mit der Dauer des Einsatzes steigt. Andere zu töten, setzt Soldaten dabei dem größten psychischen Stress aus. Der Historiker Samuel L.A. Marshall etwa stellte während des Zweiten Weltkriegs fest, dass damals nur etwa 15 bis 20 Prozent der US-Soldaten wirklich auf den Feind geschossen haben. Er entwickelte aus dieser Beobachtung heraus einen Trainingsplan, der die Bereitschaft zu töten deutlich erhöhen sollte.
Es begann damit, dass die Rekruten in ihrer Ausbildung nicht mehr auf Zielscheiben feuerten, sondern auf Ziele mit menschlicher Silhouette. Zudem wurden Kampfsituationen möglichst realistisch nachgestellt, um die Soldaten für das Töten zu konditionieren. Im Ernstfall sollte es eine automatische Reaktion sein, abstrakt und unpersönlich. Marshalls Idee hatte Erfolg: Nur ein paar Jahre später im Koreakrieg stieg der Anteil der schießenden Soldaten auf 55 Prozent, im Vietnamkrieg waren es bereits 95 Prozent.
Der Feind darf kein Mensch sein
Dahinter steht eine grundsätzliche Erkenntnis aus der Psychologie: Damit Soldaten funktionieren – und das heißt in letzter Konsequenz eben töten können –, dürfen sie den Feind nicht als Menschen sehen. Nur dadurch können sie die Schuld und Qual, einem anderen das Leben zu nehmen, überhaupt ertragen. Konkret findet diese notwendige Entmenschlichung auf verschiedenen Ebenen statt. Immer aber ist das Ziel Distanz.
Schon der physische Abstand macht einen Unterschied. Dem Panzerschützen in Hunderten Metern Entfernung fällt das Töten leichter als dem Soldaten, der den Atem seines Gegners fühlt. Ebenso kann Technologie Distanz herstellen: Da kann es schon genügen, den Feind durch die grünlich verschwommene Optik eines Nachtsichtgerätes wahrzunehmen.
Hinzu kommt die emotionale und moralische Distanz zum eigenen Tun, manifestiert durch die Befehlskette und das Streuen der Verantwortung in der Gruppe. Die absolute Autorität der Vorgesetzten und der Rückhalt der Kameraden ermöglichen, dass ein Soldat die Gewalt, die er ausübt, nicht direkt mit seiner eigenen Person in Verbindung bringen muss. Die Schuld wird abgeschoben, geteilt, verdrängt. Das Schießen fällt leichter, die Brutalität kann wachsen. Denn die Entscheidung zu töten ist nicht mehr allein die eigene.
Die Schuld wird abgeschoben, geteilt, verdrängt
Auch die Sprache des Krieges schafft Distanz zum Gegner und trägt einen großen Teil zu seiner Entmenschlichung bei. Wenn von Zielen, nicht von Personen die Rede ist, stellt sich keine Beziehung ein. Sich bewusst zu sein, wie viele Männer an Bord und was ihre Geschichten sind, würde es schwer machen, auf ein feindliches Schiff zu feuern.
Doch die Distanzierung durch Sprache geht noch viel weiter. Die Namen, die Soldaten ihren Feinden geben, sind dabei nur ein Symptom. Die Verunglimpfung von Ethnizität, Kultur oder Religion oder schlicht boshafte Entlehnungen aus dem Tierreich helfen, den Gegner auf eine niedrigere Stufe zu stellen, ihn nicht als gleichwertig zu betrachten.
Der amerikanische Krieg gegen den Terror etwa basiert auf der simplen Gleichung, die George W. Bush nach den Anschlägen vom 11. September 2001 aufstellte: “Entweder ihr seid mit uns, oder ihr seid mit den Terroristen.” So harmlos das scheint: Darin ist die Verrohung der Soldaten bereits angelegt.
Verbrecher, Mörder, Tiere
Es ist der Beginn einer völligen Entmenschlichung eines Feindes, einer kompletten Distanzierung, die seither vieles gerechtfertigt hat, was sonst undenkbar gewesen wäre. Dazu gehört die Folter von Verdächtigen, um Geständnisse zu erpressen. Dazu gehört auch der gesellschaftliche Konsens, der aus dem kollektiven Trauma von 9/11 erwuchs: Ja, es ist in Ordnung, diejenigen zu töten, die uns angegriffen haben. Denn sie sind Verbrecher, Mörder, Tiere.
Wie nun soll der einfache Soldat in diesem Umfeld moralischen Halt finden? Er, der gelernt hat, den Feind als minderwertig, unmenschlich und gefährlich für das eigene Land zu sehen. Dem Politiker, Medien und Mitbürger gleichsam Absolution erteilt haben für das Töten dieses Feindes. Der auch sieht, welche drastischen Mittel im Namen der nationalen Sicherheit, im Namen des Guten bereits Anwendung gefunden haben.
Auswüchse wie Leichenschändungen oder das Erniedrigen von Gefangenen sind in diesem Sinne das Ergebnis eines viel früher einsetzenden Prozesses, an dem nicht nur die Soldaten beteiligt sind.
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