US-Präsident Obama hat überraschend verfügt, dass illegale Einwanderer einen Antrag auf Duldung stellen dürfen. Das könnte ihm den Wahlsieg sichern.
Vor gut sechs Wochen schon hatte es US-Präsident Barack Obama amtlich. Die US-Zensusbehörde stellte offiziell fest, was seit Jahren vermutet wurde: Die Weißen werden in einigen Jahren nicht mehr die Bevölkerungsmehrheit in den Vereinigten Staaten stellen. 50,4 Prozent aller Babys, die zwischen Juli 2010 und Juli 2011 zur Welt kamen, sind bereits afroamerikanische, hispanische, asiatische oder anderer Herkunft, haben also keine weißen Eltern. Die Veröffentlichung der statistischen Tatsachen dürfte Obama den letzten Ruck gegeben haben, sich der Einwanderungsfrage zu stellen.
Vor einigen Tagen nun hat die Obama-Regierung überraschend verfügt, dass künftig gut 800 000 junge Menschen, die sich illegal in den USA aufhalten, einen Antrag auf Duldung stellen können. Die meisten davon sind Hispanics. Diese Menschen, die den Großteil ihres Lebens in den USA verbracht, dort Schulabschlüsse gemacht und womöglich sogar in der Armee gedient haben, brauchen künftig keine Angst mehr zu haben, dass sie in ihre Heimatländer abgeschoben werden. Die Entscheidung des Weißen Hauses war nicht nur der Einsicht in die demografische Entwicklung geschuldet. Sie folgte nicht nur der Tatsache, dass in den USA heute schon gut 50 Millionen Menschen leben, die aus Ländern Lateinamerikas stammen. Die Entscheidung war vor allem brillant.
Obama hat erkannt, dass er es wegen der Mehrheitsverhältnisse im Kongress nicht mehr schaffen wird, ein dort seit Jahren feststeckendes Einwanderungsgesetz zu verabschieden. Er hat registriert, dass die Republikaner, die ihm im November das Präsidentenamt streitig machen wollen, keinen Federstrich tun, um das Problem zu lösen. Dass sie im Gegenteil sogar gesetzgeberische Bemühungen ihres jungen Senators Mario Rubio aus Florida, immerhin ein potenzieller Vizepräsidentschaftsbewerber, ignorieren. Vor allem aber hat Obama erkannt, dass die Stimmen der Hispanics über Sieg und Niederlage entscheiden können. Die Zahl der registrierten Wähler unter den Latinos steigt. 2008 waren es gut neun Millionen. Im November, so wird geschätzt, könnten es bereits mehr als zwölf Millionen sein. Diese Wählergruppe ist für Obama vor allem in den sogenannten Swing States Florida, Nevada, Colorado und North Carolina überaus wichtig. Diese Bundesstaaten neigen traditionell dazu, sich von Wahl zu Wahl zu entscheiden. Einmal wählen sie die Demokraten, einmal die Republikaner. Bringt Obama dort die Hispanics hinter sich, bleibt er wahrscheinlich Präsident.
Schutz vor Abschiebung
Obama hat eiskalt kalkuliert – und gehandelt. Wer unter die jüngste Verordnung fällt, bekommt zwar nicht die US-Staatsbürgerschaft. Das hätte Obama nicht ohne Parlamentsgenehmigung anweisen dürfen. Doch das Parlament dominieren die Republikaner. Der sogenannte Dream Act, ein Einwanderungsgesetz im klassischen Sinne, wird seit mehr als einem Jahrzehnt im Kongress aus einer Schublade in die nächste gesteckt. Allein die Aussicht, dass 800.000 Menschen demnächst Schutz vor Abschiebung und befristete Arbeitsgenehmigungen erhalten, hat die Latino-Gemeinde in den USA in Begeisterung versetzt. Und die Republikaner in einen Zustand der Verwirrung. Sie sind Obama in die Falle gegangen. Präsidentschaftskandidat Mitt Romney versucht, das Problem zu umtanzen. Gleich viermal wurde er am Wochenende gefragt, ob er denn die Obama-Verordnung, sollte er Präsident werden, ebenfalls am ersten Amtstag zurücknehmen wolle – so wie im Falle der Gesundheitsreform versprochen. Gleich viermal verweigerte Romney die Antwort.
Ein Ja wäre ein schwerer Fehler gewesen, denn ebenso wie Obama ist Romney auf die Stimmen der Hispanics angewiesen. Romney weiß, dass die Republikaner eine Partei des weißen Mannes sind. Er weiß, dass sich das ändern muss und hat das auch schon angemerkt. Er weiß nur nicht, wie. Ein Nachweis der Verwirrung ist die Klage Romneys, dass Obama aus politischen Motiven heraus gehandelt habe. Das stimmt. Aber verwundert das, viereinhalb Monate vor der Wahl? Noch verzweifelter als Romneys Getänzel nahm sich die Reaktion von Senator Rubio aus Florida aus, dessen Pläne für ein Einwanderungsgesetz von der eigenen Partei missachtet werden. Rubio sagte: „Das Weiße Haus hat uns niemals angerufen. Niemand hat uns gesagt, dass die Sache auf dem Weg ist.“ Wenn Rubio sich darüber wundert, dass er nicht kontaktiert wurde, dann ist er naiv.
Die Republikaner sind in Schockstarre verfallen, die Latinos sind erfreut, Obama kann sich entspannt geben, weil ihm ein Coup gelungen ist. Sein nächster Termin bei der hispanischen Gemeinde ist am Freitag im Swing State Florida. Obama soll eine Rede vor der NALEO halten. Zu diesem Zeitpunkt wird er schon wissen, was sein Konkurrent gesagt hat. Denn tags zuvor ist ein Auftritt von Mitt Romney auf der Jahrestagung der größten Interessenvertretung der Latinos in den USA geplant. Obama hat sein Geschenk überreicht. Romney muss erst noch erklären, wie er es mit der Sache der Hispanics hält.
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