Amerikanische Nahostpolitik ist keine dankbare Aufgabe: In Libyen stirbt der US-Botschafter durch eine Islamisten-Clique, die ohne amerikanische Waffen wohl gar nicht entstanden wäre. Nun folgen Attacken auf die US-Vertretung in Jemen. Washington reagiert auf die prekäre Situation mit einem unklugen Schritt, der die Massen noch weiter radikalisieren könnte.
Manchmal ist es niederschmetternd, welch dürftige Kulturerzeugnisse Massen in Bewegung bringen. Die Mohammed-Karikaturen vor einigen Jahren waren böse gezeichnet und böse gemeint. Der obskure Hetzfilm über Mohammed als vermeintlichen Schwulen und Kinderschänder hätte als Publikum nur die eigenen Macher verdient. Nun aber explodiert seinetwegen die Gewalt gegen US-Vertretungen in Ägypten und Libyen, Tunesien und Jemen, Iran und Irak.
Vieles wirkt undurchsichtig und orchestriert: Warum wurde der Film erst wenige Tage vor dem 11. September aus dem Englischen ins Arabische übersetzt? Wer ist für das Schmierwerk überhaupt verantwortlich? Extremistische Exil-Kopten? Ein amerikanischer Jude? Warum entlud sich die Wut so pünktlich zum Jahrestag des Angriffs auf das World Trade Center? Und wer empört sich da? In Libyen nutzte die Steilvorlage offenbar eine kleine Gruppe aus al-Qaida-nahen Islamisten, die zuvor vergeblich versucht hatten, größere Teile des Landes unter ihre Kontrolle zu bringen. In Ägypten gesellten sich zu den Religiösen auch Fußballfans, die für ihre Krawallbereitschaft so bekannt sind wie für ihre Politikferne. In Jemen soll ein radikaler Scheich die Menschen angestachelt haben.
Seit dem Ausbruch der arabischen Volksaufstände gab es viele schwierige Momente in den Beziehungen zwischen Amerika und der arabischen Welt. Wenige waren so heikel wie dieser. Amerika hat kaum noch Einfluss in der Region und sieht sich mit antiamerikanischen Ressentiments konfrontiert, die kein Diktator mehr kontrolliert. Inzwischen drängen Kräfte nach vorne, die Amerika gleichzeitig benutzen und verachten. In Libyen hatte Amerika geholfen, Gaddafi zu stürzen. Und es liegt eine bittere Ironie darin, dass die Islamisten-Clique, die nun den idealistischen US-Botschafter Chris Stevens auf dem Gewissen hat, ohne amerikanische Waffen wohl gar nicht entstanden wäre.
Und Mursi schwieg
In Ägypten schwieg der islamistische Präsident Mohammed Mursi zum Angriff auf die US-Botschaft fast einen Tag lang. Dann verurteilte er die Gewalt – aber gleichzeitig riefen die Amerika-feindlichen Muslimbrüder für den heutigen Freitag zu Großkundgebungen gegen die Beleidigung der Religion auf. Mehr noch: Während Protestierende vor der US-Botschaft in Kairo die schwarze Flagge der radikalen Islamisten schwenkten, trafen sich ägyptische Beamte mit einer US-Wirtschaftsdelegation. Washington will Kairo – schon heute zweitgrößter Empfänger von US-Hilfe – eine Milliarde Dollar Schulden erlassen.
Mursis Lage ist nachvollziehbar unbequem: Als Islamist konkurriert er mit den radikalen Salafisten um den Titel des obersten Religionshüters. Als Präsident braucht er Geld. Aber auch die Liberalen beschimpfen Amerika, weil Washington angeblich die Islamisten hofiert. Und ägyptische Publizisten klagen, der ganze Krawall vor der Botschaft sei eine amerikanische Inszenierung, um die zarte arabische Demokratie zu diffamieren. Amerikanische Nahostpolitik ist keine dankbare Aufgabe.
Gerade deshalb – und trotz des Wahlkampfs – wäre es unklug für die Amerikaner, Öl ins Feuer zu gießen. Dass Präsident Barack Obama nun Zerstörer und Marines nach Libyen schickt, vielleicht sogar bald Drohnen folgen lässt, ist kein gutes Zeichen. Bislang randalierten nur einige wenige, wenn auch gefährliche Grüppchen gegen US-Vertretungen, bislang kann Amerika zumindest in Libyen auf einen Rest Zustimmung setzen. Fällt Washington jedoch in jenen Verteidigungsmodus, wie es ihn etwa in Jemen gegen al-Qaida einsetzt, mit zivilen Opfern und dem Antiterrorkampf als absolute Priorität, dann könnte sich das Blatt schnell wenden. Die Menschen in der arabischen Welt möchten mehr sein als ein Sicherheitsrisiko.
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