Zwanzigtausend Seiten. So ausführlich soll der US-General John R. Allen der 37-jährigen Jill Kelley in Florida, geschrieben haben. Sie hat große dunkle Augen. Sieht aus wie eine Dame, die von vielen Frauen gehasst wird. Mindestens von den Frauen, die sich dann niedlich genug finden, wenn sie sich ein Kuscheltier an den kleinen Rucksack hängen.
Jills Leben scheint sehr abwechslungsreich zu sein. Amerikanische Journalisten rechnen derzeit ihre gesamten Schulden zusammen. Viel Geld, so viel steht schon fest. Langweilige Menschen verschulden sich eben nicht mit viel zu üppigen Partys.
Dieser Frau hat also der General 20 000 Seiten geschrieben. Es müssen fabelhafte Texte sein. Denn in den offiziellen Entschuldigungen ist von „unangebrachten Mails“ die Rede. „Unangebracht“ hat der ein oder andere Lehrer immer verwendet, wenn für uns Schüler der Spaß soeben begann. „Unangebracht“ polterte es aus dem Mund meines Vorgesetzten im Zivildienst. Wenn ich etwas gemacht hatte, das ich mit dem Reinigen vieler Autos büßen musste. „Unangebracht“ schreiben Zuschauer über ein meistens heiteres Vorkommnis in meiner Sendung.
In den General müsste sich eigentlich jeder einfühlen können. Er wird im nächsten Jahr 60 Jahre alt. Sitzt da in seinem Kommandoposten in Afghanistan. Beim besten Willen kein Platz für gute Leidenschaft. Er ist stattdessen umgeben von den fanatischen Temperamenten der irren Taliban. Und von Marines, die auf Fragen, die sie verstanden haben, nicht mit Ja, sondern mit einem Hua-Ruf antworten. Steht für „Heard, understood, acknowledged (Gehört, verstanden, alles klar)“.
Als wären wir eine Rudelbums-Republik
Wahrscheinlich hat er sich in den Mails zu Jill an den Strand gewünscht. Zumal sie an der Küste von Florida lebt, wo die Sonne jeden Abend im Meer versinkt. Über die Eiswürfel, die im Getränk klirren, könnte er gekitscht haben. Oder wuchtiger: Wie sie beide noch einmal ganz neu anfangen. Wobei die Frage ist, ob seine Soldatenpension reicht, um ihre enormen Schulden abzutragen. Aber so konkret wird doch kein Mensch in einer liebeskranken elektrischen Nachricht. Auf den restlichen 19 999 Seiten könnte es dann um das gegangen sein, was auch mehrere Hunderttausend deutsche Leser an „Fifty Shades of Grey“ fasziniert hat. Strenge Lust. Einem General fallen wahrscheinlich diverse unangenehme Varianten ein, wie sich ein anständiges Aua in das Liebesspiel integrieren lässt.
Die ersten Mediendeutschen haben nun schon wieder öffentlich starke Meinungen. Wie sehr sich an dieser Geschichte mit den liebestollen Spitzensoldaten der Druck des Prüden in den Vereinigten Staaten ablesen lässt. Als wären wir nicht ebenso verklemmt. Als würde uns nicht erst am späten Abend der ein oder andere Wein die Finger über die Tastatur fliegen lassen. Als lautete der erste Artikel unseres Grundgesetzes: „Jeder Würdige ist menschlich antastbar.“ Als wären wir eine Rudelbums-Republik, in der sich jeder Bundeswehr-General von der Ergo-Versicherungsgruppe zur Weihnachtsfeier in den Puff einladen lassen darf.
Oder weniger krass, sondern behutsam biblisch: Derjenige, der in den vergangenen 12 Monaten keine unangebrachte Nachricht verschickt hat, der werfe das erste Laptop. Warum fliegt nichts?
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