America: At War with Itself

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Die USA sind im Krieg mit sich selbst

Von Uwe Schmitt

16.01.13

Waffenbesitz ist so amerikanisch wie Apfelkuchen und Baseball. Nicht erst seit dem Amoklauf von Newtown wird der Streit um die eigene Waffe so erbittert geführt wie einst der Kampf um die Sklaverei.

Der inneramerikanische Streit über Schusswaffen und Gewalt trägt in seinen Extremen die hassverzerrten Züge des Kampfes um die Sklaverei. Der Bewaffneten Glaube, Gefühl, Verehrung zwischen Religion und Libido, Sehnsucht nach der rechtschaffenen Anarchie des alten Westens stehen gegen Vernunft, Statistik, Modernität, Urbanität und gegen ein minimales Vertrauen in den Staat.

Der entscheidende Unterschied zum Ringen um das Halten von Sklaven des 19. Jahrhunderts: Der Süden der USA kämpfte dabei um das ökonomische Überleben seiner Plantagenindustrie. Dieser Unterschied allein stiftet Hoffnung, dass der Bürgerkrieg, den paranoide Waffennarren in Amerika herbeireden wollen, vermieden wird.

Mehr Waffen – mehr Sicherheit?

Von Krieg zu sprechen ist weder ein Scherz noch Satire. Es häufen sich Sprüche eines Nur-über-meine-Leiche-Machismo, der einer tyrannischen Regierung den Krieg erklären will. Die europäischen Juden hätten den Vernichtungswillen Hitlers gebrochen, wären sie nur bewaffnet gewesen, so behauptet ihr Wahn, die Opfer Stalins, Maos, Pol Pots hätten ihre Peiniger besiegt. Der Waffenlobby “National Rifle Association” (NRA) gefällt es, sich auf der Seite des Guten zu wissen, das mit dem Gewehr im Anschlag stets Gutes will und tut.

Nur so ergibt die NRA-Parole Sinn: Menschen töten, nicht Waffen. Mehr Gewehre in den Händen von mehr anständigen Bürgern bedeuten mehr Sicherheit. Über eine dringend nötige verbesserte psychiatrische Versorgung, die Früherkennung des Bösen also, will die NRA reden. Nie aber über Waffen.

Es ist in dieser Sicht die Wehrlosigkeit der Schulen, die Massenmörder anzieht. Der Traum der NRA ist ein wilder hollywoodesker Shoot-out zwischen Lehrern und Verbrechern in Schulen, bei dem stets die Good Guys siegen, die Schüler davonkommen, Eltern applaudieren. Der Schützenbund hat seit dem Amoklauf in Newtown seine Mitgliederzahl von 4,1 auf 4,2 Millionen erhöht. Waffenverkäufe boomen, angefacht von der Verschwörungsmär, Obama wolle brave Bürger entwaffnen.

Lehrer belegen Selbstverteidigungskurse. Gnade Gott Amerikas Kindern, wenn diese armen Menschen in Notwehr zu Helden werden sollen. Nicht einmal Polizisten, die regelmäßig Schusswaffentraining unter Stress absolvieren, haben Trefferquoten, die Vertrauen stiften. Der Traum vom wehrhaften Bürger, der Tyrannen und andere Bösewichter in Schach hält, ist töricht und in Wahrheit ein Albtraum.

Ein Drahtseilakt für die Demokraten

Wenn Waffen so amerikanisch sind wie Apfelkuchen und Baseball, wenn das Recht der Kinder auf Unversehrtheit hinter dem auf Waffenbesitz zurücksteht, fällt die Nation mindestens eine Mehrheitsentscheidung, wie sie leben will. An dieser Entscheidung werden schärfere Waffenkontrollgesetze nichts ändern. Sturmgewehre zu verbannen, Magazine mit mehr als zehn Schuss zu verbieten, ein nationales System für die Registrierung jedes Waffenverkaufs zu schaffen – sollte Vizepräsident Joe Biden seinem Chef solche Maßnahmen vorgeschlagen haben, ist der Verlauf des Streits vorhersehbar.

Die Republikaner im Repräsentantenhaus werden sogleich vermelden, dass das mit ihnen nicht zu machen sei. Einzelne Demokraten aus dem Süden oder Mittleren Westen werden einstimmen in den Protest gegen “radikalen Aktionismus”. Im Senat wird es gesitteter zugehen; eine 60-Stimmen-Mehrheit, wie sie durch das Filibuster perverserweise nötig ist, sieht aber auch dort niemand. Niemand weiß das besser als Joe Biden, der über Jahrzehnte im Senat unermüdlich und nur selten siegreich für strengere Waffengesetze kämpft.

Als die Senatoren Obama und Biden im Vorwahlkampf 2007 ihre Position zu “gun control” darzulegen hatten, machte sich Obama die Position des Obersten Bundesgerichts zu eigen: Der zweite Verfassungszusatz verteidigt danach ein individuelles Recht auf Waffenbesitz. Barack Obama war, wie stets, in der Mitte des Meinungsspektrums, Biden neigte der Linken zu. Er zählt zu den wenigen, die nicht verstummten, als Demokraten im Kongress, die für strengere Waffengesetze eingetreten waren, in Scharen abgewählt worden waren.

Die NRA gegen die versammelte Elite

Die Gegner verschärfter Kontrollen verweisen darauf, das von 1994 bis 2004 gültige Verbot von Sturmgewehren für Zivilisten habe in der Kriminalstatistik keinen nachweisbaren Rückgang von (Massen-)Tötungen nach sich gezogen. Waffengegner machen geltend, dass dieses Verbot von Hunderten Ausnahmen ausgehöhlt wurde. Auch das neueste Kontrollgesetz, von der kalifornischen Senatorin Dianne Feinstein eingebracht, sieht in seiner Rohfassung mehr als 900 Ausnahmen für Gewehre wie das in Newtown verwandte Bushmaster AR-15 vor.

20 Million Dollar hat die NRA im Wahlkampf 2012 waffentreuen Abgeordneten und Senatoren gespendet, überwiegend Republikanern. Man soll sich nicht wundern, dass die Lobby eine Gegenleistung erwartet: die Verhinderung oder Verwässerung von strengeren Gesetzen. Waffengegner, angeführt von New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg, haben keine dauerhafte Kampfmoral und ungleich weniger Geld. Bloomberg hat die Statistiken in seiner Stadt auf seiner Seite, dazu nahezu sämtliche Polizeichefs Amerikas, die sich mit bewaffneten Bürgern jeden Tag zu befassen haben. Hohe Militärs, Lehrerverbände, die organisierte US-Ärzteschaft, Eliten aller Art stehen hinter Michael Bloomberg und Joe Biden.

Der Kulturkampf um die Waffengleichheit

Jüngst kam eine Studie der “Nationalen Gesundheitsinstitute” zu dem verstörenden Ergebnis, dass Amerikas Männer die geringste Lebenserwartung unter 17 Industrienationen aufweisen; Frauen stehen an vorletzter Stelle. Trotz der bei weitem höchsten Ausgaben für Gesundheit. Unter den Gründen für den allzu frühen Tod: Schusswaffengewalt.

Für Ausländer ist es müßig, sich über Amerikas Waffenwahn zu ereifern. Man gehe den Deutschen an ihre “Freie Fahrt” und ihre Hunde und erlebe ähnliche Kulturkampfreflexe. Amerika sollte weder belehrt noch bemitleidet werden, wenn sein Recht, nach Glück zu streben, auch mit Waffengewalt und dem Blut von Kindern verteidigt wird.

Die erfolgreichste Schlacht der Indianer gegen die Handlanger der Tyrannen in Washington kostete in Jahr 1873 am Little Big Horn General Custer und seine Soldaten das Leben. Sie starben, weil Hunderte der Indianer über Repetiergewehre verfügten. Es herrschte Waffengleichheit. Es war eine Lehre fürs Leben.

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