Woodward versus Weißes Haus
Vorwürfe gegen Obama /
Von Matthias Kolb
1. März 2013
Mit seinen Enthüllungen zu Watergate hat er Richard Nixon gestürzt, seitdem hat Bob Woodward sich mit allen US-Präsidenten auseinandergesetzt. Von Obama und dessen Fähigkeiten als Krisenmanager hält Amerikas berühmtester Journalist wenig: Der Demokrat sei schuld am schädlichen Spardiktat.
Diese Einschätzung hat nun zu einem absurden Streit geführt, der viel über den Politbetrieb in Washington verrät.
Am vergangenen Freitag greift Woodward zum Telefon. Er informiert einen Berater von Präsident Barack Obama über einen Artikel, der am Sonntag in der Washington Post gedruckt werde und gleich online zu lesen sei. Darin schildert er Obama als lausigen Krisenmanager – eine These aus seinem aktuellen Buch “The Price of Politics”. Woodward schreibt, dass Obamas Büroleiter Jack Lew im Sommer 2011 den Vorschlag zum “Sequester” gemacht habe, weshalb Obama für die schlimmen Folgen des Spardiktats verantwortlich sei (Details zu Auswirkungen in diesem SZ-Text). Und er wirft dem US-Präsidenten Unredlichkeit vor, weil dieser die Republikaner als Blockierer darstelle.
“So sollte man nicht miteinander umgehen”
Die Reaktion des Experten am Telefon im Weißen Haus sei eine halbe Stunde Brüllen gewesen, sagt Woodward in einem Interview, das er dem einflussreichen Insidermagazin Politico gab. Er habe später eine E-Mail erhalten, in dem sich der Berater für seine Ausfälle entschuldigt, aber nochmals erklärt habe, dass Woodwards Darstellung nicht korrekt sei.
“Sie schauen ein paar Bäume ganz genau an und sehen deshalb den kompletten Wald nicht richtig. Vielleicht sehen wir die Sache einfach anders. Ich denke, dass Sie es bereuen werden, diese Behauptung zu machen”, liest Woodward aus der E-Mail des Obama-Strategen vor und so steht es in dem Politico-Artikel (inklusive Video hier) mit der Überschrift “Woodward at War” – ein Tribut auf Woodwards Buch “Bush at War”. Es folgt eine Formulierung, die Washington mehr beschäftigt als die Haushaltskrise: “Woodward wiederholte den letzten Satz und machte deutlich, dass er ihn als eine verhüllte Drohung empfand.”
Er als erfahrener Journalist habe mit solcher Rhetorik kein Problem, doch jüngere Kollegen würden an seiner Stelle wohl zittern, so Woodward. Sein Fazit: “So sollte man nicht miteinander umgehen.” Später schildert der Pulitzer-Preisträger den Sachverhalt auch noch auf CNN.
Ein Präsidentenberater bedroht die Journalisten-Legende Woodward? Das wird sofort zum Thema in den Blogs, im Kabelfernsehen und bei Twitter unter #Woodwardgate. Es ist wie gemacht für eine Stadt, die vor Gerüchten vibriert und in der sich zu viele Menschen zu wichtig nehmen.
Es wird daran erinnert, dass der 69-Jährige Obamas Taktik in Politicio als “an Wahnsinn grenzend” bezeichnet hat und dass die Republikaner Kopien der Kolumne als Beleg für die Unredlichkeit Obamas an Anhänger verteilen. Die Konservativen werden den berühmten Reporter im laufenden Budget-Streit, der heute mit einem Gipfeltreffen im Weißen Haus weitergeht, als Kronzeugen nutzen.
Michael Tomasky von The Daily Beast fragt hingegen, inwieweit “das werden Sie bereuen” bedrohlich wirkt. Seine Antwort: Diese Schlussfolgerung ist verrückt. Die Version aus dem Politico-Text (deren Autoren Mike Allen und Jim VandeHei sind frühere Kollegen von Woodward bei der Washington Post) gerät ins Wanken, als zunächst Buzzfeed berichtet, dass es sich bei dem Schreihals um Obamas Wirtschaftsberater Gene Sperling handelt und schließlich die komplette E-Mail-Korrespondenz publik wird (hier im Wortlaut).
Es wird deutlich, dass Woodward einige Sätze aus Sperlings ausführlicher E-Mail nicht vorgelesen hat, welche die Bedrohungsthese nicht stützen. So bezeichnet sich Sperling, der schon unter Clinton im Weißen Haus arbeitete, etwa als Woodwards Freund.
“You focus on a few specific trees that gives a very wrong perception of the forest. But perhaps we will just not see eye to eye here. But I do truly believe you should rethink your comment about saying saying that Potus asking for revenues is moving the goal post. I know you may not believe this, but as a friend, I think you will regret staking out that claim.”
Im Laufe des Donnerstag melden sich immer mehr Journalisten zu Wort – da Republikaner und Demokraten nicht ernsthaft verhandeln, um das Spardiktat abzuwenden, haben sie Zeit. Nick Confessore von der New York Times findet die E-Mails keineswegs bedrohlich; sie zeigten hingegen, wie inzestuös Politik und Medien in Washington verwoben seien.
Ron Fournier, bis vor kurzem Chefredakteur des National Journal, beschreibt unter der Überschrift “Warum Woodwards Kampf mit dem Weißen Haus auch für Sie wichtig ist”, wie oft er angeschrieen und beleidigt werde. Fournier sorgt sich, dass der Verfall der Sitten und der brutale Wettbewerb es Journalisten immer schwerer machen würden, die Mächtigen zu kontrollieren.
Jonathan Cohn wirft hingegen Woodward in The New Republic vor, “eine dünne Haut und noch dünnere Argumente” zu haben. Cohn schildert im Artikel, dass auch er schon von Sperling angebrüllt wurde. Wer noch nicht wusste, wie rau es in Washington zugeht und dass die Obama-Leute gern in Richtung von Reportern fluchen, der ist eine weitere Illusion los. Cohn wiederholt einen Punkt, der zuletzt oft zu lesen war: Woodward sei weiter ohne Konkurrenz darin, Material zu sammeln, doch seine Analysen seien nicht so brillant.
Und wirklich: Das Argument, Obama trage die Verantwortung für das Spardiktat, durch das bis 2021 ingesamt 1,2 Billionen Dollar gekürzt werden, weil sein Büroleiter den Vorschlag eingebracht habe, ist nur im engsten Sinne korrekt. Denn beide Seiten haben dem Vorschlag zugestimmt, weil sie davon ausgingen, eine bessere Lösung zu finden, und sowohl Obama als auch die Republikaner haben dazu Vorschläge vorgelegt. Es stimmt, was Matthew Yglesias in Slate schreibt: “Entweder haben beide die Regeln geändert oder keiner.”
Und was macht Bob Woodward, der nach Meinung der meisten Kollegen übertrieben hat? Er wählt ausgerechnet den Fox-News-Feuerkopf Sean Hannity als Partner für ein Exklusiv-Interview aus und erklärt, er selbst habe niemals gesagt, dass er sich bedroht gefühlt habe (Video). Seiner Hauszeitung, der Washington Post, erklärt Woodward, er sei “ein wenig amüsiert” über all die Aufregung. Diese Überraschung über die aufgeregte Berichterstattung klingt ziemlich seltsam aus dem Mund eines Manns, der seit Jahrzehnten hinter die Kulissen der Macht schaut.
In einem hat Bob Woodward jedoch recht: Die Leute in Amerika außerhalb Washingtons könnten nicht verstehen, wieso in der Hauptstadt nichts vorangehe und sich die Parteien trotz hoher Arbeitslosigkeit und den schädlichen Folgen des Robo-Sparens in einer Dauerblockade befänden. Sein Fazit: “In gewisser Weise ist die größte Geschichte in der Stadt gerade die Stadt selbst. Die Leute draußen wundern sich doch, was hier passiert. Und ab und zu können alle mitverfolgen, wie die Dinge hier laufen.”
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