Angelina Jolie ist mutig – aber kein Vorbild
Um die Kontrolle über ihren Körper wiederzuerlangen, entschloss sich die Schauspielerin zur Brustamputation. Ein Akt der Autonomie, ermöglicht durch Gen-Diagnostik. Ein Muster für alle ist das nicht. Von Annette Prosinger
Frei sind die Fraun, die solche Heldentat vollbracht,” heißt es in Kleists “Penthesilea” von den Amazonen. Die zur Selbstverstümmelung schritten, um die Kontrolle über ihr Leben zu behalten. Die rechte Brust schnitten sie sich ab, damit sie den Bogen besser spannen konnten.
Dieser radikale Akt der Selbstzurichtung lässt die sagenhaften Kriegerinnen der Antike so faszinierend erscheinen und so beunruhigend: Um als Frauen selbstbestimmt leben zu können, müssen sie einen Teil ihrer Weiblichkeit zerstören. Die rechte Brust war der Tribut, den sie im Voraus zahlten, um ihre Feinde zu überwinden und ihre Freiheit zu bewahren. Damit sorgten sie für Bewunderung. Und Entsetzen.
Bei Angelina Jolie ist die Bewunderung gewiss größer als das Entsetzen. Aber das Erschrecken ist schon groß. Nicht weil sie die erste Frau wäre, die sich zu einer prophylaktischen Mastektomie entschließt. An die 150mal wurden solche Operationen bisher allein in Deutschland gemacht, in den USA sind die Zahlen weit höher. Aber noch ist das Verfahren in der Öffentlichkeit wenig bekannt.
Zwar gab es schon andere prominente Frauen, wie Sharon Osbourne, Frau des Rockmusikers, die sich dieser Operation unterzogen, allerdings hat keine so ein Beben ausgelöst. Doch nun: Angelina Jolie, Weltstar mit dem Ruf schönste Frau der Welt, ließ sich ihre Brüste abnehmen.
Sie hätte weit gefährlichere Operationen durchgemacht haben können, sich einen verkrebsten Darmabschnitt entfernen, einen Lungenflügel herausschneiden lassen, ein Auge verlieren können – nichts davon hätte die Öffentlichkeit so verstört wie die Nachricht, dass sich die Frau, die vielen als Sinnbild für äußere und innere Perfektion galt, einer Brustamputation unterzogen hat.
Es war diese Irritation, die die Wucht der Sensation bestimmte. Ein kalter Schauder, der sich erst einmal legen musste, bevor sich Mitgefühl, Respekt und Sachinteresse ins rechte Mischungsverhältnis setzen konnten.
Ein Schock, in dem sich, je nach Betrachter und Betrachterin, einiges vermengte: Trauer über die Zerstörung von Schönheit, Abschied von einer Ikone der Makellosigkeit. Enttäuschung darüber, dass ein Leben, das künstlerisches, familiäres und soziales Engagement so glücklich verbindet, von so etwas Winzigem, Unsichtbarem, Unglaubwürdigem wie einem “faulty gene”, einem fehlerhaften Gen, bedroht ist. Und da war die Befremdung darüber, dass diese Frau so radikale Entscheidungen trifft. Aus Angst vor Krebs. Ohne Befund, nur auf Verdacht.
Im ersten Moment klang das ungeheuerlich: Da lässt sich eine junge Frau ihre beiden gesunden Brüste abschneiden, nur weil sie nicht mit der Angst leben will. Ist das nicht hysterisch? Oder zumindest anmaßend? Ein unerhörter Akt sich über die eigene Natur hinweg setzender Autonomie?
Kontrolle über den eigenen Körper
Genau darum geht es, um Selbstbestimmung, so schreibt es Jolie in ihrem Brief in der “New York Times”, mit dem sie ihre Entscheidung bekannt machte: “Das Leben hält viele Herausforderungen bereit. Vor denen, die wir annehmen und die wir kontrollieren können, sollten wir keine Angst haben.” Kontrolle über ihren Körper, dazu hat sie sich entschieden. Das mag unerhört sein, ungehörig ist es nicht.
Und ganz so unerhört eigentlich auch nicht mehr. Wir leben längst in Zeiten, da es nicht mehr nur die beiden Zustände gibt: gesund und krank. Die Gen-Diagnostik, die uns zeigt, was an Krankheiten auf uns zukommen kann, hat einen dritten Zustand geschaffen, den des kranken Gesunden.
Durch die Möglichkeit, ein genetisches Risikoprofil erstellen zu lassen, ist eine merkwürdige Zwischenposition entstanden: Der so Analysierte ist zwar noch kein Patient. Aber ganz gesund wird er sich auch nicht mehr fühlen, nachdem er weiß, was ihn ereilen kann.
Im Wartesaal der Krankheit
Ein fataler Wartezustand, der nur schwer auszuhalten ist, wenn man – wie Jolie und all die anderen Frauen mit der Gen-Diagnose BRCA-1 oder BRCA-2 – so lebensbedrohliche Aussichten hat. Ein Zustand, der eine Entscheidung herausfordert. Abwarten oder der Gefahr zuvor kommen – das ist eine Wahl, die nicht die Ärzte, sondern der Patient treffen muss. Die moderne Medizin setzt auf den mündigen Patienten. Auch wenn sie ihn damit oft überfordert.
Wie sehr der Ausblick auf Risiken belasten kann, wissen alle jungen Eltern, die während der Schwangerschaft in die Zwickmühle der pränatalen Diagnostik gerieten: Wie viel Untersuchungen traut man sich und dem Ungeborenen zu? Wie viel Wissen kann man verantworten – und wie viel Nichtwissen?
Wissen belastet, selbst dann, wenn man es verweigert. Für eine Frau, in deren Familie Brustkrebs häufig auftrat, ist die bloße Existenz eines Gentests eine Herausforderung: Unterzieht sie sich dem Test, erfährt sie vielleicht mehr über ihr Brustkrebsrisiko, als ihr lieb ist. Lehnt sie den Test ab, muss sie sich fragen, ob sie fahrlässig mit ihrer Lebensverantwortung umgeht.
Und so übertrieben sie sein mag, die Vorstellung, eines Tages von den eigenen Töchtern gefragt zu werden, wieso man als Mutter nicht alles gegen den Krebs unternommen hat, den man ihnen vererbt hat – dieser Horrorvorwurf stellt sich ein in schlaflosen Nächten. Gendiagnostik ist ein Fast forward-Spulen für Albträume. Wie immer man mit dieser Möglichkeit der Medizin umgeht, sie bringt einen unter Druck.
“Take action” – für manche eine Illusion
Und natürlich setzt auch Angelina Jolie mit ihrer Entscheidung, die hilflose Position des Auf-die-Krankheit-Wartens zu verlassen, Frauen unter Druck. Mach einen Bluttest, finde heraus, was dich erwartet und dann: “take action”. So befreiend dieser Aufruf zur Selbstbestimmung klingt – man kann sich vorstellen, welche hochfliegenden Hoffnungen er auslöst und welch nervösen Ansturm auf Krankhäuser und Frauenarztpraxen.
Das hat sein Gutes: Die Verwirrung über Jolies unerhörtes Bekennerschreiben zeigt – ebenso wie die anbrandende Welle heroisierender Bewunderung – dass mehr, viel mehr Information nötig ist. Darüber etwa, dass der Fall Jolie eine Ausnahme ist. Weniger als zehn Prozent aller Brustkrebs-Fälle gehen auf erbliche genetische Veränderungen zurück.
Es gibt keine Garantie
Die meisten Krebsfälle haben andere, oft noch nicht erforschte Ursachen – kein Gentest würde sie ankündigen. Selbst eine regelmäßige Mammographie, wie sie älteren Frauen empfohlen wird, bietet keine Garantie auf Früherkennung. Nur 76 Prozent der Brustkrebs-Fälle von Frauen, die sich regelmäßiger Röntgenkontrollen unterziehen, werden durch die Vorsorge-Untersuchung entdeckt. Und: Auch eine beidseitige Brustamputation kann ein Krebsrisiko zwar senken, aber nicht ganz ausräumen.
Aber so ist es. Wo Wissen ist, da ist auch Zweifel. Und Leben bedeutet Risiko. Wer heute seinen Krebs besiegt, kann morgen vom Auto überfahren werden. Autonomie heißt nicht, alle Gefährdungen ausmerzen zu können, sondern mit der Gefahr umzugehen. Auf die Art, die einem selbst gerecht wird. Und für die, das gehört zu einem selbstbestimmten Leben dazu, gibt es kein Vorbild. Die muss jeder selbst herausfinden.
Leave a Reply
You must be logged in to post a comment.