Amerikas unkontrollierte Schatten-Polizei
Der Fall Trayvon Martin wirft ein schlechtes Licht auf Bürgerwehren in den USA. Ohne gesetzliche Regeln stehen sie zwischen Zivilcourage und Selbstjustiz.
George Zimmerman ist freigesprochen: Mit diesem Urteil endete der Fall Trayvon Martin – und mit dem Bild eines Todesschützen und “Möchtegern-Cops auf Lynchjustiz-Mission”. So jedenfalls nannte die Staatsanwaltschaft in Forida den Nachbarschaftswächter. Ein gefundenes Fressen für die Medien: Schlagzeilen machte, dass er der Polizei ständig vermeintlich Verdächtiges meldete und dass er einst wegen häuslicher Gewalt verhaftet worden war. All dies wurde in seinem Prozess zwar als irrelevant eingestuft, dennoch steht eine Frage im Raum: Warum durfte einer wie Zimmerman überhaupt mit einer Pistole bewaffnet auf Streife gehen?
Der tragische Fall wirft ein Schlaglicht auf die gesellschaftlichen Konflikte in den Vereinigten Staaten, auf all die Debatten über Selbstverteidigungsrecht, Waffenkontrolle und Rassismus. Nun rückt ein weiterer, bislang wenig beachteter Aspekt in den Mittelpunkt: die heikle Rolle der Bürgerwehren.
Nachbarschaftswachen sind weit verbreitet in den USA. Schätzungsweise in der Hälfte aller Wohngegenden gibt es sie. Manchmal ist es lediglich eine vereinbarte Telefonkette für den Notfall, oft sind es bewaffnete Männer in Uniform und auf Streife. In Zeiten der Krise, in denen der Staat auch weniger Geld für seine Polizei übrig hat, füllen Bürgerwehren immer öfter vermeintliche Sicherheitslücken. Eigens für sie geltende gesetzliche Rahmenbedingungen gibt es nicht. So ist eine Schatten-Polizei entstanden.
Vorbild Florida
Die Anfänge dieser Gruppen gehen zurück in die späten 1960er-Jahre, als die Gewaltkriminalität in den USA rasant zunahm und es auf den Straßen immer wieder zu Ausschreitungen kam. Einige fortschrittliche Polizeibehörden in Seattle, Washington und Minneapolis waren die ersten, die ihre Bürger dazu anspornten, sich zu Wachtruppen zusammenzuschließen. Nach und nach breiteten die sich im ganzen Land aus. Studien zufolge waren 1981 bereits 12 Prozent aller Amerikaner in einer solchen Gruppe engagiert, Ende der 1980er-Jahre war es demnach schon etwa jeder fünfte.
Niemand weiß, wie viele dieser Wächter Schusswaffen tragen. Genauso wenig wie aktuelle Statistiken über Ausmaß und Ausstattung der Bürgerwehren gibt es irgendeine besondere Form der Lizenzvergabe. “Der gesamte Prozess ist leider vollkommen unreguliert”, sagt Anwalt Byron Warnken, der als Gastprofessor an der University Baltimore lehrt. “Im Grunde sind das ganz normale Menschen, die den gleichen Gesetzen unterliegen wie jeder andere Bürger.”
Wie etwa dem umstrittenen Stand-your-ground-Gesetz: Demnach reicht es aus, sich an Leib und Leben bedroht zu fühlen, um den vermeintlichen Täter in spe zu töten – ohne eine Strafe befürchten zu müssen. Der Washington Post zufolge gibt es solche Gesetze nach dem Vorbild in Florida mittlerweile in mehr als 30 US-Bundesstaaten.
Bessere Schulung und Überwachung
Nun ist es für viele Zeit für Reformen. Nachbarschaftswächter, so fordern sie, sollten ein spezielles Training durchlaufen und ihre Aufgabe genau vor Augen geführt bekommen. “Es ist sehr wichtig, dass sie genau beobachten, wie sich ein Verdächtiger verhält, und nicht, wie er aussieht, welche Hautfarbe er hat und wie er gekleidet ist”, sagt Dennis Rosenbaum, Kriminalwissenschaftler an der University of Illinois in Chicago und räumt ein: “Manchmal haben es die Bürgerwehren tatsächlich auf die Minderheiten abgesehen.”
Dennoch sind sich Experten einig, dass Neighborhood Watch eine effektive Strategie zur Gewaltprävention sein kann. “Es ist schade, dass der Zimmerman-Fall einen Schatten darauf wirft”, sagt Rosenbaum. Solche Programme sollten nicht als schädlich abgetan werde: “Die meisten, die sich in unserem Land dabei engagieren, sind gute Menschen. Sie wollen einfach nur eine sichere Nachbarschaft.”
Leave a Reply
You must be logged in to post a comment.