Obamas Schritt, zum Syrien-Einsatz ein Kongressvotum einzuholen, deuten Kritiker als Verzweiflung. Doch in Wirklichkeit schafft er damit die bestmögliche Drohkulisse.
Die Wahrscheinlichkeit, dass die USA eine Intervention in Syrien anführen, ist hoch. Gut möglich ist aber auch, dass diese schnell wieder vergessen ist. Wenige Tage lang gehen Raketen auf ausgewählte Ziele nieder, die militärische Balance bleibt unangetastet, der Bürgerkrieg in Syrien geht weiter. Wer in diesen Tagen über die amerikanische Reaktion auf den Einsatz von Giftgas, die Suche des US-Präsidenten nach Partnern und Legitimation diskutiert, muss sich zuallererst von einem Gedanken verabschieden: dass der angestrebte Schlag gegen das Assad-Regime direkte humanitäre Beweggründe hätte.
Er soll ein klares Statement zur Verteidigung einer internationalen Norm sein, an deren Durchsetzung jeder einzelne Staat ein Interesse haben muss. Die “rote Linie”, um die es hier geht, ist eben nicht allein jene, die Barack Obama vor rund einem Jahr gezogen hat – die war von Beginn an nur mit schwachem Pinselstrich gezogen und jeder wusste: Dieser Präsident will einen militärischen Eingriff unbedingt vermeiden.
Die Konvention gegen den Einsatz chemischer Waffen ist die eigentliche rote Linie, eine der wenigen, die weltweit beinahe universelle Anerkennung genießt; sie ist damit wesentlich schärfer als die bis zuletzt ausgesprochenen Drohungen.
Obama hat diese Erkenntnis so deutlich formuliert, wie es nur geht. Den Kongressabgeordneten, deren Zustimmung er vor einem Militärschlag einholen will, hat er die Frage gestellt: Welchen Sinn hat ein internationales System, dessen Regeln nicht durchgesetzt werden? Die Chemiewaffenfrage geht eben weit über Syrien hinaus, sollte in diesem Fall niemand handeln.
Zur Not auch ohne den Kongress
Seine eigene Glaubwürdigkeit und den Ruf der Weltmacht USA setzt Obama dafür aufs Spiel. Auf den ersten Blick mag der Verweis der Entscheidung an den Kongress deshalb wie ein verzweifelter Schachzug wirken, der Amerikas Kriegsmüdigkeit und der Lage geschuldet ist, in die sich der US-Präsident selbst manövriert hat – wie das Einknicken vor dem innenpolitischen Druck.
Was viele als Schwäche interpretiert haben, ist aber ein kluger Schritt, der angesichts der Umstände bestmöglich eine Drohkulisse aufrecht erhält. Eben weil es hier nicht um eine humanitäre Intervention geht – das wäre eine ganz andere Frage –, ist nun keine Eile geboten. Zum einen hat Obama klargemacht: Er ist bereit, einen Angriff zu befehlen, hält ihn für richtig – und er weiß, dass er dafür nicht die Zustimmung des Kongresses braucht.
Dass vorher so schnell so viele Details kursierten, trägt mit zu der Botschaft bei: Hier geht es nicht um einen regime change. Sie ist allein schon wichtig, um nicht Vergeltungsreaktionen des Assad-Regimes und seiner Verbündeten zu provozieren, die den Amerikanern letztlich keine andere Wahl ließen, als sich doch sehr viel stärker in den syrischen Bürgerkrieg hineinziehen zu lassen.
Das Ziel, von einem weiteren Einsatz chemischer Waffen abzuschrecken, ist damit zumindest vorerst erreicht. Auch ohne ein Votum der Abgeordneten würde der US-Präsident einen Militärschlag anordnen, hört man aus dem Weißen Haus.
Der Versuch, ihn demokratisch zu legitimieren, ist dabei in vielerlei Hinsicht ein Gewinn. Er ist kein Zögern, sondern eine Chance, Obamas Entscheidung für eine Intervention noch mehr Gewicht zu verleihen. Er hat Recht, wenn er sagt, das Land werde stärker und das Handeln der USA effektiver sein, wenn der Kongress sein Vorgehen mitträgt. Zudem hat er Zeit gewonnen, auch international die Unterstützung zu organisieren – nicht nur, um den Eindruck zu vermeiden, Amerika handele im Alleingang; auch hier, um der eben durchaus riskanten Militäraktion überhaupt erst Bedeutung zu geben.
Jetzt lohnen Gespräche
Selbstverständlich setzt der US-Präsident darauf, sowohl den US-Kongress als auch andere Länder von der Notwendigkeit des Eingriffs zu überzeugen. Gerade nach dem Rückzug des wichtigen Partners Großbritannien wird beides nicht einfach: Obama wird unwiderlegbare Beweise für den Giftgaseinsatz vorlegen und seine Argumentation klar und deutlich mitteilen müssen. Undenkbar, welche Auswirkungen ein am Ende wirklich unilateraler Militärschlag hätte – ohne internationalen Rückhalt, gegen den Willen der Abgeordneten.
Das wird allerdings nicht die einzige Aufgabe der kommenden Wochen sein. Der vorübergehende Zeitgewinn ist auch die Gelegenheit, den diplomatischen Druck zu erhöhen, vor allem auf Assads Verbündete: Jetzt lohnen Gespräche, denn sie werden vermeiden wollen, durch einen nicht nur von den USA getragenen Militärschlag isoliert zu werden. Die Rechnung ist einfach: Je mehr Unterstützung Obama nun erfährt, desto größer ist auch das Potenzial, auf dem politischen Weg noch etwas in Syrien zu erreichen.
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