Mit einem Angriff würde Obama ein gewaltiges Risiko eingehen
Ziehen die Amerikaner wieder in einen Krieg? Oder gehen sie auf Assads Angebot im letzten Moment ein? Syriens Staatschef könnte sich an Israel und der Türkei rächen.
Heute will Präsident Barack Obama eine Rede an die Nation zum Thema Syrien halten. Manche Beobachter hatten es bis gestern Abend für möglich gehalten, dass gleichzeitig die ersten amerikanischen Marschflugkörper auf syrische Ziele niederprasseln würden. Die meisten aber gingen davon aus, bevor er den Angriffsbefehl gebe, werde er das Votum des Kongresses abwarten, den er, obwohl von der Verfassung nicht dazu verpflichtet, um Zustimmung gebeten hat.
Doch nun scheint eine Wende in Sicht. In Fernsehinterviews sprach Obama in der Nacht davon, die Angriffspläne seien zunächst ausgesetzt, sofern die syrische Regierung tatsächlich ihre Chemiewaffen unter internationale Kontrolle zu stellen bereit sei. Das hatte Außenminister Walid al-Muallim bei einem Besuch in Moskau versprochen. Obama sieht darin einen “möglichen Durchbruch”.
Obama käme damit den Bedenken im US-Kongress entgegen und der Skepsis der eigenen Bevölkerung und vieler Europäer. So käme er aus der Klemme.
Von einer zwei- oder dreitägigen “Strafaktion” wegen des Baschar al-Assad zugeschriebenen Gas-Angriffs war in Washington seit Tagen die Rede. “Begrenzt und verhältnismäßig” soll sie sein, Bodentruppen sollten dabei nicht eingesetzt werden.
Strafaktion? Sagen wir’s direkter: Zum vierten Mal binnen 22 Jahren wollten die Amerikaner im Mittleren Osten in den Krieg ziehen.
Obamas erklärtes Ziel ist es, allen “Schurkenstaaten, autoritären Regimen und terroristischen Organisationen ein Signal zu geben, dass sie keine Massenvernichtungswaffen entwickeln und einsetzen können, ohne Konsequenzen gewärtigen zu müssen”.
Man mochte freilich aus guten Gründen daran zweifeln, dass ein begrenzter Angriff die gewünschte Wirkung erzielen werde. Das amerikanische Kommentariat ist gespaltener Meinung, wie ja auch die Parteien, Republikaner wie Demokraten, geteilter Ansicht sind. Die einen lehnten die vorgesehene Aktion ab, weil sie ihnen nicht weit genug geht, neokonservative Verfechter einer amerikanischen Weltordnungsrolle und paläokonservative Isolationisten sind sich da aus unterschiedlichen Motiven einig.
Eine überwiegende Mehrheit der Amerikaner ist konfliktmüde und frustriert nach zwölf Jahren endlosen Krieges in Afghanistan, nach Libyen und nach den zwielichtigen Drohnen-Angriffen in Pakistan, im Jemen und in Somalia. Sie will von einer weiteren Militäraktion nichts wissen. Sie denkt wie Sarah Palin von der Tea Party: “Wir wollen also Syrien bombardieren, bloß weil Syrer Syrer bombardieren? Let Allah sort it out – überlasst es Allah, die Sache zu richten.”
In Wirklichkeit geht es ja auch nicht um eine akute Bedrohung der amerikanischen Sicherheit. Außenminister John Kerry hat die Katze aus dem Sack gelassen. Sein Räsonnement: “Wenn wir keinen Schlag gegen Syrien führen, werden wir unsere Glaubwürdigkeit in der Welt verloren haben.”
Wozu Anna Simons, ihres Zeichens Professorin an der Naval Postgraduate School, richtigerweise anmerkt: “Die Glaubwürdigkeit der USA steht nicht auf dem Spiel. Auf dem Spiel steht die des Präsidenten.” Er hat vor einem Jahr leichtfertig eine rote Linie gezogen – “wenn ein Haufen von Chemiewaffen umhertransportiert oder eingesetzt wird” – und muss jetzt versuchen, sein Gesicht zu wahren. Auch dabei könnte ein Einlenken Assads jetzt helfen.
Denn gäbe Obama den Angriffsbefehl, so ginge er gewaltige Risiken ein.
Den Bürgerkrieg würde der Militärschlag nicht beenden, sondern eher anheizen. Das Assad-Regime könnte Vergeltung üben – an Israel, der Türkei, im Libanon. Die Auswirkungen auf den ohnehin friedlosen Irak wären voraussehbar katastrophal.
Die ganze staatliche Architektur des Mittleren Ostens, wie sie nach dem Ersten Weltkrieg von Engländern und Franzosen in souveräner Missachtung der Stammes- und Religionsgemengelage auf den Wüstensand gebaut wurde, könnte mit einem Schlag zusammenbrechen.
Die moralische Rechtfertigung des Strafunternehmens würde sich in nichts auflösen, wenn Obamas Tomahawks Tausende von unschuldigen Zivilisten “kollateral” vom Leben zum Tode beförderten. Schon ein einziger Toter mehr als die 1.492 Gas-Toten von Ghouta würde reichen, den moralischen Anspruch Amerikas zur zynischen Farce zu stempeln.
Schließlich jedoch würde ein Angriff die letzte Chance auf eine politische Lösung zunichte machen. Die Diplomatie, die – ein peinliches Versagen der Mächte – bisher schon kaum eine Rolle spielte, würde vollends ins Abseits gedrängt.
Josef Joffe hat letzte Woche an dieser Stelle den bedenkenswerten Satz Winston Churchills zitiert: “Nie, nie an einen einfachen und glatt verlaufenden Krieg glauben.” In diesem Satz spiegelt sich die tiefe Erkenntnis wider, die schon Clausewitz mit seinem Begriff von der “Friktion” im Kriege definiert hat: “Der Krieg ist das Gebiet des Zufalls; man findet die Dinge unaufhörlich anders, als man sie erwartet hat.”
Obamas oberster Soldat, der Admiral Martin E. Dempsey, kennt seinen Clausewitz. Vor einigen Wochen schrieb er: “Once we take action, we should be prepared for what comes next. … Deeper involvement is hard to avoid” – “Wenn wir zur Aktion schreiten, sollten wir darauf vorbereitet sein, was dann als Nächstes kommt. … Es ist schwer zu vermeiden, dass man tiefer hineingezogen wird.”
Ob Barack Obama doch noch im letzten Augenblick vor dem Angriff zurückschreckt? Die Chance dafür ist jetzt da.
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