Germans Only Love Un-American Heroes

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Die Deutschen lieben nur unamerikanische US-Helden

Obama wurde hierzulande verehrt, nun steht sein Gegenspieler Edward Snowden auf dem Podest. Beides sagt gleich viel aus über einen merkwürdigen Antiamerikanismus. EIN KOMMENTAR VON LUDWIG GREVEN

Deutsche bejubeln gern Heroen. Barack Obama war für viele von ihnen schon einer, bevor er überhaupt Präsident der Vereinigten Staaten wurde. Denn er versprach wie der einsame Rächer im Western, den Schurken George W. Bush zur Strecke zu bringen. Bald zeigte sich, dass auch dieser schwarze, aufrechte Superheld nur ein gewöhnlicher, sehr amerikanischer Anführer der Supermacht ist, der strikt nach den Interessen seines Landes handelt. Die NSA-Affäre hat dies nachdrücklich bestätigt.

Nun schenken die enttäuschten Deutschen ihr gebrochenes Herz stattdessen einem jungen Computer-Fachmann aus North Carolina, der bis vor Kurzem Teil der amerikanischen Spionagemaschinerie war. Der aber dann die Seiten wechselte. Und der als schüchterner, entschlossener Aufdecker der globalen US-Bespitzelung jetzt der schärfste Herausforderer Obamas ist.

Warum bewundern viele Deutsche diesen Edward Snowden so? Weshalb würden sie ihm am liebsten die deutsche Staatsbürgerschaft ehrenhalber verleihen, mindestens aber Asyl gewähren, damit er sicher ist vor Obamas Häschern? Obwohl er eine Untat begangen hat, die ihm, wäre er als Deutscher zu den Chinesen oder Russen übergelaufen, wohl nur wenige nachsehen würden: Verrat. Und obwohl die meisten Deutschen ihre Überwachung durch die US-Geheimdienste im Wahlkampf derart kalt ließ, dass sie Angela Merkel, die Verleugnerin dieser massiven Grundrechtsverletzung, wieder zur Kanzlerin bestimmten?

Schizophren ist das schon. Aber auch erklärbar. Denn die Mehrzahl der Deutschen hat Amerika schon immer misstraut. Sie hören zwar gern amerikanische Musik, nutzen Google, Facebook und Twitter, kommunizieren mithilfe von Apple und Microsoft, schauen mit Vorliebe amerikanische Filme und Serien und eifern auch sonst in vielem dem American Way of Life nach.

Fremd geblieben

Aber die Amerikaner mit ihrem überbordenden Selbst- und Sendungsbewusstsein, ihrem Drang zur unbedingten Freiheit, ihrer militärischen, wirtschaftlichen und technischen Überlegenheit, ihrer ganzen westlichen Modernität, sind ihnen im Grunde fremd. Manche nehmen ihnen bis heute übel, dass sie Deutschland von der Nazi-Barbarei befreien mussten, ihnen die Demokratie beibrachten und danach fast ein halbes Jahrhundert lang Besatzungs- und Schutzmacht blieben.

Viele Deutsche fühlen sich offensichtlich noch immer als Underdogs gegenüber diesem eigenwilligen Riesen auf der anderen Seite des Atlantiks, obwohl ihr Land längst wieder zur Führungsnation in Europa aufgestiegen ist und von den USA als Partner, wenn auch als ungleicher, anerkannt wird. Haben diese Deutschen so wenig Selbstvertrauen, dass sie Obama als Inbegriff des neuen, alten Amerika mittlerweile fast hassen – selbst wenn er nur das tut, was so gut wie alle US-Präsidenten vor ihm getan haben: sich um den Rest der Welt nur zu scheren, wenn der dem eigenen Land in die Quere kommt?

Und sind wir Deutschen so viel anders? Halten wir immer Freiheit, Gerechtigkeit und die Menschenrechte hoch, selbst wenn es eigenen Interessen widerspricht? Oder denken nicht auch hier viele “Deutschland zuerst!”, wenn es etwa um Hilfen für Euro-Krisenländer oder für Flüchtlinge aus der Dritten Welt geht, die nach Europa drängen? Nur dass Deutschland halt nicht so groß und mächtig ist wie die USA und deshalb auf andere angewiesen.

Aus der Heldenverehrung für Snowden spricht viel von diesem Minderwertigkeitskomplex gegenüber Amerika. Da ist einer, der scheinbar ganz anders ist als die meisten seiner Landsleute. Der wie ein Daten-Superman für das Reine, Wahre, Gute kämpft und dafür seine persönliche Freiheit, wenn nicht sein Leben riskiert. Und in den man deshalb so viel hineinprojizieren kann an Heldenmut, den man selbst gern besäße.

Dumm nur, dass dieser Edward Snowden in Wahrheit ein sehr typischer Amerikaner ist. Ein Patriot, wie er sich selber nennt, der die amerikanischen Werte und die Freiheit der Bürger verteidigen möchte gegen eine übermächtige Regierung in Washington und deren Sicherheitswahn. Und der die Welt, fast wie einst Bush, aufrütteln und beglücken will – mit Daten- und Spionagefreiheit. Wie erfrischend naiv!

Damit würde dieser Ex-CIA- und NSA-Mitarbeiter unter Umständen sogar in die Tea Party passen, den Rechtsausleger der Republikaner. Aber kaum zu den Grünen, deren linker Altrebell Christian Ströbele ihn am liebsten im Alleingang nach Deutschland holen würde.

Was Snowden tatsächlich antreibt und den nun Antihelden Obama, in welchen Zwängen sie jeweils gefangen sind, das interessiert die wenigsten. Es reicht ja jeweils zu wissen, wer gerade der Gute und wer der Böse ist. Bis zum nächsten Showdown.

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