Dismantling of a Superpower

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Rückbau der Supermacht

In den Vereinigten Staaten ist ein neuer Realismus spürbar. Die Amerikaner haben die Lust auf eine Weltpolitik der Omnipräsenz verloren.

Den Irak haben die amerikanischen Soldaten schon verlassen, Afghanistan werden sie im kommenden Jahr verlassen, im Libyen-Konflikt wollten die Vereinigten Staaten nur aus der zweiten Reihe führen. Und sieht man mal von Ostasien und dem Thema Massenvernichtungswaffen ab, so drängt es sie auch sonst nicht danach, die Hauptlast zu tragen, wenn es darum geht, größere oder kleinere Konflikte zu entschärfen – zu den Vorgängen in der Ukraine hat man ein ernstes Wort aus Washington nicht vernommen. Das Land, das er vor allem aufbauen wolle, seien die Vereinigten Staaten. Präsident Obama scheint sich das Motto, das er seiner Präsidentschaft gegeben hat, tatsächlich zu beherzigen. Es ist bemerkenswert, dass eine Mehrheit der Amerikaner zwar seine Außenpolitik zum Teil heftig kritisiert, aber sie heißt dieses Motto und einen Rückbau des weltpolitischen Engagements gut und missbilligt eine abgespeckte Rolle Amerikas ganz und gar nicht. Zwei Kriege und eine lange Rezession haben tiefe Spuren in der kollektiven Psyche hinterlassen. Militärisch intervenieren wollen die Amerikaner erst mal nicht mehr – siehe Syrien.

Außenpolitik an nationalen Prioritäten anlehnen

Eine Umfrage des „Pew Research Center“ ist diesen Spuren nachgegangen und hat dabei viele ernüchternde und gleichwohl realistische Einschätzungen zutage gebracht. Zu den ernüchternden Befunden gehört die Bewertung der amerikanischen Bedeutung in der Welt: Danach glaubt eine Mehrheit der Befragten (53 Prozent), dass die Vereinigten Staaten heute eine weniger wichtige und mächtige Rolle in der Welt spielten als noch vor einem Jahrzehnt. Es ist das erste Mal in vierzig Jahren, dass eine Mehrheit das so sieht. Der Anteil derer, die eine solche pessimistische Einschätzung haben, lag 2004 noch bei zwanzig Prozent! Gewachsen – und zwar kräftig – ist auch der Anteil derer, die, salopp gesprochen, der Auffassung sind, die Vereinigten Staaten sollten sich vor allem um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern und sich nicht in die Belange anderer Länder einmischen. Auch darin kann man ein Echo der Syrien-Politik Obamas lesen – oder, umgekehrt, man kann die Haltung Obamas in diesem Konflikt als Spiegel der öffentlichen Meinung deuten. Achtzig Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu, dass die Vereinigten Staaten sich in erster Linie um ihre nationalen Probleme kümmern sollten. Sie sollen sich gegen Bedrohungen wie den Terrorismus, Cyber-Angriffe oder die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen schützen – aber anderswo Armut bekämpfen und Demokratie fördern? Nein, danke! Es passt zu dem düsteren Neorealismus, dass siebzig Prozent der Befragten der Auffassung sind, dass die Vereinigten Staaten heute weniger respektiert würden in der Welt als in der Vergangenheit. Allerdings ist diese Auffassung parteipolitisch getrübt: Vor allem republikanisch gesinnte Wähler verspüren einen Respektverlust; zu demselben Urteil waren demokratische gesinnte Wähler während der Regierung Bush gelangt.

Aus diesem Meinungsbild könnte man einen fulminanten Schluss ziehen: Die Vereinigten Staaten sind auf breiter Front auf dem Rückzug aus der Weltpolitik. Sie hätten nach dem „unipolaren Moment“ nach Ende des Kalten Krieges und vor allem nach „9/11“ wieder in den Modus des Isolationismus geschaltet. Vor einem solchen eindeutigen Schluss warnen die Autoren der Erhebung. Denn zwei Drittel der Amerikaner halten die Einbindung der Vereinigten Staaten in die Weltwirtschaft für eine gute Sache; drei Viertel begrüßen den Ausbau der wirtschaftlichen Verbindungen mit dem Ausland ausdrücklich. Daraus ist etwa zu folgen, dass die Regierung Obama bei den Handelsverhandlungen mit asiatischen Ländern und mit der Europäischen Union die Mehrheit der Bevölkerung eigentlich auf ihrer Seite hat. Das Meinungsbild ist also differenziert zu lesen: Die Mehrheit der Amerikaner befürwortet einen geopolitischen Rückbau der Supermacht und eine Außenpolitik, die sich eng an die nationalen Prioritäten anlehnt; wenn es um Wirtschaft, Handel und Investitionen geht, befürwortet sie eine solche Beschränkung ganz und gar nicht.

Wer holt noch die Kastanien aus dem Feuer?

Der Vergleich klingt gewagt und lässt sich auch nur mit Einschränkungen ziehen: Aber in den Grundzügen denken die meisten Deutschen ähnlich. Viele Deutsche sind stolz auf den Titel „Exportweltmeister“; sie wissen, dass „unser“ Geld vor allem im Ausland verdient wird. Gleichzeitig sind viele Deutsche der Auffassung, angesichts einer unübersichtlichen, konfliktreichen Welt lasse es sich als „große Schweiz“ ganz gut leben. Bundespräsident Gauck hat diese Sicht in einer Rede zum 3. Oktober heftig kritisiert. Das Land könne nicht auf einer Insel der Seligen leben, sondern müsse mehr globale Verantwortung übernehmen.

Der deutschen Politik ist in der jüngeren Vergangenheit oft ein ähnlicher Vorwurf gemacht worden: Deutschland sei wirtschaftlich stark und habe keinerlei Scheu, auf dem Feld von Wirtschaft und Finanzen – Stichwort europäische Schuldenkrise – selbstbewusst, forsch und das Ergebnis vorbestimmend aufzutreten. Wenn es um die Außen- und Verteidigungspolitik gehe, dann wolle Berlin allenfalls die zweite Geige spielen. Am liebsten würde es gar nichts tun, so wie in Libyen (wobei die Bundesregierung ihr Abstimmungsverhalten im März 2011 im UN-Sicherheitsrat nach wie vor für richtig hält, zumal nach der Entwicklung in Libyen und in der Region seither). Deutschland lasse also in Sachen Wirtschaft erfolgreich die Muskeln spielen, geopolitisch gebe die größte europäische Wirtschaft den „großen Zwerg“.

Dieser giftige Vorwurf ist übertrieben; in Afghanistan ist Deutschland schließlich noch präsent. Nebenbei erledigt er das Argument, Deutschland sei Hegemon in Europa, wenn auch ein zögernder. Deutschland hat weder den Ehrgeiz noch die Mittel, noch verfügt es über die mentalen Voraussetzungen, um Hegemon zu sein. Allerdings stimmt es, dass Deutschland verstärkt Adressat von Erwartungen an seine Gestaltungskraft geworden ist; es wird Führung von ihm verlangt, wie das in den vergangenen fünfzig Jahren nicht der Fall war. Deutschland ist sich dieser Erwartungshaltung in Nah und Fern bewusst, nimmt aber Führungsverantwortung selektiv wahr. Von militärischen Interventionen ist die deutsche Bevölkerung, wie gesagt, überhaupt nicht angetan. Jedenfalls dann nicht, wenn Deutschland nicht unmittelbar bedroht ist. Genauso sehen es immer mehr Amerikaner.

Ein starkes Plädoyer für Partnerschaft

Die Vereinigten Staaten sind unbestritten nach wie vor die größte Militärmacht der Welt, und es wird noch (viele) Jahre dauern, bis sie von China in der Wirtschaft eingeholt werden. Aber die Leute haben die Lust auf eine Weltpolitik der Omnipräsenz und der Allmacht verloren. Sie kennen die Bilanz der Irak-Intervention und des Afghanistan-Einsatzes. Reklame kann man damit nicht machen. Die Deutschen waren und sind von vornherein skeptisch. Aber was ist, wenn die Welt weder die einen noch die anderen in Ruhe lässt? Können wir uns dann entziehen? Und was, wenn die Amerikaner für uns nicht mehr die Kastanien aus dem Feuer holen wollen? Wer holt überhaupt noch Kastanien aus dem Feuer? Russen und Chinesen vielleicht? Auf Dauer wird es nicht damit getan sein, den Kopf in den Sand zu stecken. Umgekehrt jedoch wird der frohgemute Glaube, man könne innere Prozesse in anderen Ländern schon im eigenen Sinne beeinflussen, an der Wirklichkeit scheitern.

Also sind wir alle Realisten, irgendwie. Mehr als drei Viertel der befragten Amerikaner sind übrigens der Auffassung, dass die Vereinigten Staaten in ihrer Außenpolitik die Ansichten ihrer wichtigsten Verbündeten berücksichtigen sollten. Das ist ein starkes Plädoyer für Partnerschaft. Es ist wird von vielen Erfahrungen in den vergangenen zehn, zwölf Jahren getragen.

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