Edward Snowden, ein Ingenieur mit Mission
Mit seiner alternativen Ansprache im Fernsehen enthüllt der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter seinen inneren Widerspruch: Er ist Geschöpf eben jener Maschinerie, die er so gründlich diskreditiert hat.
Nun tritt er aus dem Schatten ins Licht. Monatelang ließ Edward Joseph Snowden das von ihm in die Weltöffentlichkeit lancierte Material aus dem Innersten des US-Geheimdienstes National Security Agency (NSA) vor allem für sich selbst sprechen und von anderen interpretieren. Jetzt erhebt er selbst das Wort.
Mit einer “alternativen” Weihnachtsansprache im britischen Fernsehen, in einem großen Interview mit einer amerikanischen Zeitung. “Hi and Merry Christmas!” grüßt er in alle Welt. War es bislang vor allem die Sicht der Welt auf ihn, die sein öffentliches Bild bestimmte, erfahren wir nun etwas über Snowdens Sicht auf die Welt – und seine Person.
Für die einen “Verräter”, für die anderen ein “Freiheitsheld” – diese wuchtigen Zuschreibungen sagten in Wahrheit wohl mehr über die Beurteilenden aus als über den Beurteilten. Allzu deutlich erkennbar mischte sich bislang von Interesse geleitete Erkenntnis in das öffentlich gehandelte Charakterbild Snowdens, bei seinen neuen Freunden ebenso wie bei seinen neuen Feinden.
Snowdens Persönlichkeit blieb ein Art Phantom, in das jeder nach Belieben alles Mögliche hineindeuten konnte. Doch das ändert sich nun. Wer also spricht da zu uns?
Eine Freundin und ein Haus auf Hawaii
Es ist kein Intellektueller, der da formuliert. Er denkt und spricht als Ingenieur, der seine Berufung eigentlich immer darin sah, technische Dinge ins Laufen zu bringen. Und der selbst auch immer gern funktionierte – und das auf sehr amerikanische Weise.
Ein Sohn der Mittelschicht aus gutem Beamtenhaushalt, der sich im Alter von 20 Jahren freiwillig zum Irakkrieg bei der US-Armee meldete und nur wegen eines schweren Unfalls bei der militärischen Ausbildung dort nicht zum Einsatz kam.
Einer, den es trotz abgebrochenem Informatikstudium mit großer Begabung und auch viel Fleiß als gefragten IT-Experten weiterhin in den Dienst des Vaterlandes zog und der es dabei in seinen Zwanzigern schon zu einigem Wohlstand brachte. Mit 200.000 Dollar Jahreseinkommen, Freundin und Haus auf Hawaii.
Wie beim Zauberlehrling
Dann aber muss der begabte Informatiker ein Zauberlehrlings-Erlebnis gehabt haben. Mit all der famosen Computertechnik, mit der er sich so gut auskennt und die so gut funktioniert, geschah plötzlich seiner Meinung nach etwas sehr Schlechtes.
Und ermächtigt von seinem Zauberbesen, der intimen Kenntnis von Computertechnik eben und ihrer ganz speziellen Anwendung bei der NSA, beschloss er den großen Kehraus. Wie er es sieht, im Dienst des Vaterlandes nach wie vor – ja geradezu in dessen Auftrag.
“Ich will die NSA nicht zugrunde richten, ich arbeite daran, sie zu verbessern”, sagt er. “Ich arbeite immer noch für die NSA, aber die sind die Einzigen, die das nicht wahrhaben wollen”, offenbart Snowden in der Weihnachtsausgabe der “Washington Post”.
Größenwahn und Erlösertum
Aus diesen Worten mag man Größenwahn oder ganz einfach nur naiv-idealistisch begründete Selbstermächtigung heraushören. Das ist ein Spiegelbild genau jenes Allmachtswahns und Welterlösungsglaubens, den viele heute seinem früheren Auftraggeber, der NSA, nachsagen.
So gesehen erscheint Edward Snowden als ein Geschöpf eben jener Maschinerie, die er so gründlich diskreditierte. Das wird noch deutlicher, wenn man liest, nach welcher Denkart er zu der Entscheidung kam, das ungeheure persönliche Risiko seines Enthüllungsprojektes einzugehen.
“Es gibt kein Vorbild für meine Entscheidung. Also dachte ich, irgendeine Auswertung ist besser als gar keine”, erklärt Snowden seine Entscheidung, die NSA-Praktiken zu veröffentlichen. “Denn selbst wenn deine Auswertung sich als unzutreffend erweist, wird der Marktplatz der Ideen das ausgleichen. Wenn du es von einem Ingenieursstandpunkt siehst, aus der Perspektive des immer wieder neuen Versuchens, dann ist klar, dass es besser ist, irgendetwas zu tun als gar nichts.”
Das Prinzip von Versuch und Irrtum
Any analysis is better than no analysis – dieser Leitspruch könnte auch in das Wappen der NSA eingraviert sein. Es ist die Philosophie des technisch ermächtigten, schrankenlosen Vorgehens nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum, das Snowden seinem ehemaligen Arbeitgeber auf fatale Weise ähnlich macht.
Etwas zu tun, nur weil man es tun kann und Nichtstun keine Option ist. Das alles in der Hoffnung, dass dabei etwas Vernünftiges herauskommt. “Ich will die Gesellschaft nicht ändern”, sagt er. “Ich will der Gesellschaft die Chance geben zu entscheiden, ob sie selbst sich ändern will.”
Dieses Denken atmet auch etwas zutiefst Missionarisches. Und so sagt Snowden es auch: “Meine Mission ist bereits erfüllt (“mission accomplished”)”, was immer jetzt folge, er sehe seine Aufgabe als erledigt an. “Ich habe gewonnen.”
Dabei wählt er nicht zufällig die gleichen Worte mit George Walker Bush, der sich als US-Präsident bei seinem legendären Auftritt am 1. Mai 2003 auf dem Flugzeugträger “Abraham Lincoln” für seinen Irak-Feldzug mit der Feststellung “mission accomplished” selbst belobigte. Auch Snowden sieht seine “Mission” offenbar in großem historischem Format.
Welch eine Selbstermächtigung: Aus dem subalternen Maschinisten einer gigantischen Überwachungsmaschine ist eine zeithistorische Person der digitalen Epoche geworden.
Das Spiel mit dem Experiment
Doch es ist eine Mission, die in der Beherrschung allmächtig erscheinender Technik einen Selbstzweck behauptet – soll die “Gesellschaft” doch sehen, was sie daraus macht. Er hat seine Bälle in die Luft geworfen, jetzt schaut er zu, wer sie auffängt – ungeachtet aller Konsequenzen. Schließlich bleibt unabsehbar, wer welchen Schaden noch nehmen wird durch Snowdens Experiment von Versuch und Irrtum.
Der Ingenieur als Missionar und Spieler zugleich. Einer, der gespannt dem Lauf der angestoßenen Billardkugeln nachschaut – im Bann der Technik und dennoch voll der Hoffnung, dass die Gesetze der Technik letztlich mit der Moral, seiner Moral zur Deckung zu bringen sind.
Denn viele seiner Äußerungen lassen ja das Denken in zutiefst moralischen und bürgerrechtlichen Kategorien erkennen. Ja, er nimmt in Anspruch, im Namen aller Kinder zu handeln.
“Ein Kind, das heute geboren wird, wächst ohne jeden Begriff von Privatheit auf. Es wird niemals wissen, was es bedeutet, einen privaten Moment für sich selbst, einen nicht registrierten und nicht analysierten Gedanken haben zu können”, sagte er in seiner Weihnachtsansprache im britischen Fernsehsender Channel 4.
Im Namen der Kinder
Ein seiner Technik abtrünnig gewordener Ingenieur auf großer Missionsreise gegen die Geheimdienst-Maschinerie, die er selbst ertüchtigen half. Im Namen der Kinder in aller Welt, also quasi im Auftag alles Zukünftigen der Menschheit schlechthin. Dabei dem Prinzip von Versuch und Irrtum folgend auf siegreicher historischer Mission. Und das, seinem erklärten Selbstverständnis nach, weiterhin im Dienst eben jener Maschinerie, die der Menschheit doch das Menschlichste nimmt, was sie hat: die Privatheit.
Das sind die Widersprüche des Edward Snowden, die seine Weihnachtsbotschaft offenbart.
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