Die neue Demut des Herrn Barack Obama
Die Rede zur Lage der Nation am Mittwoch soll unter dem Zeichen einer neuen Bescheidenheit stehen
Barack Obama wollte zu den historischen Reformern unter den US-Präsidenten gehören. Doch die meisten seiner Vorhaben sind gescheitert.
Hinterm Schreibtisch im Oval Office, sagte Barack Obama neulich in einem Gespräch mit David Remnick vom New Yorker, habe er gelernt, dass ein amerikanischer Präsident auch nur ein Staffelschwimmer sei. Noch dazu schwimme er “in einem Fluss voller Stromschnellen, dieser Fluss ist die Geschichte”. Man starte also nicht bei null, und oft nehme man Dinge in Angriff, ohne die Früchte zu ernten.
Es klingt nach neuer Bescheidenheit. Im vergangenen Jahr ging für Obama so wenig voran, dass man in Washington, wie einst die britische Königin, von einem Annus horribilis sprach. Die Bilanz fällt umso ernüchternder aus, weil der Staatschef im Moment des scheinbaren Rucks, nach seinem Sieg im Duell gegen Mitt Romney, hohe Erwartungen geweckt hatte.
Eine Reform des Einwanderungsrechts, strengere Waffengesetze, ehrgeizige Klimaschutz-Novellen: Die Agenda, die er vor zwölf Monaten skizzierte, klang wieder sehr nach dem Barack Obama, der 2008 im Jubel um seine Kandidatur zu verstehen gab, er wolle nicht irgendein Präsident sein, kein Millard Fillmore oder Franklin Pierce, sondern einer, der einen Unterschied macht. Ein historischer Reformer also, das Kaliber Abraham Lincolns oder Franklin D. Roosevelts.
Klippen der Realität
Der Anspruch zerschellte an den Klippen der Realität. Nicht nur, dass die Republikaner im Repräsentantenhaus stur bleiben und die Einwanderungsreform, im Kern eine Legalisierung des Status von elf Millionen Migranten ohne Papiere, bis heute blockieren. Mit dem vorläufigen Scheitern des Projekts starb auch die Hoffnung, das ideologische “Fieber”, wie es Obama den Konservativen zuschrieb, werde allmählich nachlassen und eine pragmatische Zusammenarbeit möglich werden. Dass sich demnächst etwas ändert am politischen Patt, ist nicht zu erwarten. Kaum jemand rechnet damit, dass es den Demokraten beim herbstlichen Votum gelingt, den Republikanern die Mehrheit im Abgeordnetenhaus abzunehmen und somit die erstarrten Fronten aufzubrechen. Und nach den “mid-term elections”, lehrt die Erfahrung, geht es nur noch darum, wer Obama im Oval Office beerbt.
Perspektive Auslaufmodell
Noch zehn, elf Monate, dann wird der Amtsinhaber zum Auslaufmodell, was bedeutet, dass seine Gestaltungskraft rapide abnimmt. Überhaupt, schreibt Peter Baker in der New York Times, Obama dürfte kaum der erste US-Präsident sein, der am eigenen Leib erfahre, welche Diskrepanz es gebe zwischen der ihm zugeschriebenen Macht und der Macht, die er tatsächlich habe. Als Kronzeugen zitiert der Journalist George W. Bush. Kurz vorm Ausscheiden von einem Vertrauten gefragt, was ihn am meisten überrascht habe im Weißen Haus, antwortete der Texaner: “Wie wenig Autorität ich besitze”.
Die Grenzen der Macht – wie ein roter Faden dürfte sich das Motiv durch die Spätphase der Ära Obama ziehen. Aus den Fakten zieht der Ex-Senator, hinter der Fassade rhetorischer Höhenflüge ein Mann stocknüchterner Analysen, den Schluss, nun besser kleinere Projekte zu verfolgen. Von seiner Agenda will er retten, was noch zu retten ist, ohne dass das Parlament zustimmen muss. Schon die Rede zur Lage der Nation, am Mittwoch vor beiden Häusern des Kongresses, soll im Zeichen der neuen Demut stehen. Obama, ist vorab zu hören, wird eine Liste relativ bescheidener Baustellen vorstellen. Höheren Mindestlohn, mehr Investitionen in die veraltete Infrastruktur, einen Ausbau der Kinderkrippen. Eher das kleine Karo.
Wo sich die Legislative querlegt, will die Exekutive auf eigene Faust handeln, mithilfe präsidialer Direktiven, gegen die die Opposition nichts ausrichten kann. “Wir werden nicht warten, bis der Kongress handelt” sagt Dan Pfeiffer, einer der Spitzenberater des Weißen Hauses. “Das klingt vage nach einer Drohung”, erwidert der Senator Rand Paul, früher ein Favorit der Tea Party, heute ein möglicher Kandidat für 2016.
Nur: Obamas Vorvorgänger im Weißen Haus hatte mit dem Ansatz kleinerer Projekte großen Erfolg. Profitierend vom Wirtschaftsboom der späten neunziger Jahre, begnügte sich Bill Clinton damit, hier und da an ein paar Stellschrauben zu drehen und ansonsten politisch nichts mehr zu wagen, was die Nation spalten könnte. Umso aktiver vermittelte er in internationalen Konflikten. Eine Handlungsanleitung für den verunsicherten Parteifreund?
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