Snowden glaubt an das Ausnahmeland Amerika
Bei seinem Kollektiv-Interview via Twitter zeigt Edward Snowden sich als Patriot: Er sieht die Vereinigten Staaten in einer Führungsrolle, wenn es um die Gewährleistung von Freiheit geht. Von Uwe Schmitt, Washington.
Edward Snowden wird nicht in die Vereinigten Staaten zurückkehren, um sich vor einem US-Gericht zu verantworten. Nicht solange ein hundert Jahre altes Spionage-Gesetz einen fairen Prozess, wie er glaubt, unmöglich macht.
Zugleich verteidigt Snowden die Angestellten der US-Geheimdienste NSA und CIA als “gute Leute, die das Richtige tun wollen” und über dieselben Anmaßungen der Führungsebene besorgt seien wie er: Der Fisch stinke vom Kopf.
Diese Auskünfte gab der 30 Jahre ehemalige freie Mitarbeiter des NSA, “Geheimnisverräter” und Flüchtling, der seit Spätsommer 2013 in Russland Asyl genießt, einem Publikum von Anhängern in einem Live-Chat am Donnerstagabend.
Das erste Kollektiv-Interview seit Juni vergangenen Jahres war auf der Webseite freesnowden für 21 Uhr angekündigt worden; aus vermutlich technischen Gründen begann der Chat rund zehn Minuten später.
Snowden spricht respektvoll von Obama
Snowden wollte sich offenkundig zu Wort melden, nachdem ihn am Sonntag ein republikanischer Kongressabgeordneter beschuldigt hatte, russische Helfer bei der Beschaffung der Geheiminformationen über die NSA-Abhörprogramme gehabt zu haben.
Präsident Barack Obama hatte Snowden in einer Rede zur nationalen Sicherheit in der vergangenen Woche zwei Mal erwähnt. Amerika könne nicht einseitig seine Geheimdienste abrüsten, während andere Staaten, oft Empörung nur heuchelnd, ihre eigenen Anstrengungen verdoppelten, sagte der Präsident.
Edward Snowden seinerseits zitierte nun Obama zweimal, in beiden Fällen respektvoll als Mann, der die Anmaßung der US-Geheimdienste offenbar selbst verstehe. Im übrigen gelte: “Wenn wir so gut sind, dass wir Angela Merkels Handy abhören können, müssen wir nicht mehr unsere Zeit verschwenden, die Anrufe von Großmamas in Missouri abzuschöpfen.”
Snowden beschrieb die wahllose Überwachung von Millionen unbescholtenen Bürgern als unnütz; sie werde betrieben, weil sie “leicht zu bewerkstelligen und billig” sei. Er und kein anderer US-Bürger hätte von keinem einzigen verhinderten Terror-Plan gehört, zu schweigen von Anschlägen, die sich der Telefonüberwachung verdankten.
Der mögliche Deal würde Snowden nicht schmecken
Es war für jedermann, der den schriftlichen Austausch von Fragen und Antworten Snowdens am Donnerstag bezeugte, offensichtlich, dass er sowohl Barack Obama als auch seine früheren Kollegen bei der Geheimdienstarbeit als natürliche Verbündete zu beschreiben versuchte.
Verbündete, die ihm eigentlich zustimmen, aber nicht können, wie sie wollen. Es bleibt offen, ob der Präsident das insgeheim so sieht. Die offizielle Linie, laut US-Justizminister Eric Holder, ist klar: Keine Straffreiheit, vielleicht ein Deal für Strafminderung. Dies scheint Edward Snowden (30) einstweilen nicht zu genügen. Wenn seine Exil-Auswahl enger wird, könnte sich das ändern.
Mancher Fragesteller zielte zu hoch für einen einfachen “Verräter” (oder “Helden”). Snowden solle beschreiben, wie die Staatengemeinschaft das Problem der digitalen Totalüberwachung lösen könne.
Führungsrolle für Amerika
Es war bemerkenswert, dass Snowden auch hier seinem Land eine Führungsrolle zuerkannte. Gerade Amerika dürfe nicht Ausreden für drittklassige Diktatoren liefern, sondern es müsse helfen, ein globales Forum mit globaler Finanzierung zu schaffen, das sich der digitalen Überwachung annehme. Mit nationalen Gesetzen, so Snowden, müsse man beginnen, aber sie allein könnten niemals ausreichen.
“Menschen, die sich unfrei fühlen, weil sie überwacht werden, sind unfrei.” Edward Snowden weiß, wie er Skepsis gegenüber staatlicher Überwachung, die in irrationale Angst ausschlagen kann, zum einen bestärkt und dann wieder dämpft. Er gibt sich als kritischer Patriot, jedenfalls alles andere als ein Verräter.
Snowden glaubt an das Ausnahmeland Amerika, sein “Verrat” will im Grunde nichts anderes, als dieses Ausnahmeland auf den Pfad der Tugend zurückzuführen. Erwähltheitsphantasien des Amerikaners Edward Snowden werden nicht jedem seiner Anhänger gefallen. Macht nichts.
Amerika kennt sich aus mit schwierigen Patrioten
Dennoch muss man den jungen Kerl, der alles hinter sich lassen musste und nun weltberühmt, verfolgt und einsam lebt, für seine Courage bewundern. Es gibt allerlei Schmutz, der über Snowden verbreitet wird. Mancher mag authentisch sein, so wie ein Artikel im “New Republic” es nahelegt.
Der Mann ist weder heilig, noch moralisch erhaben über seine Gegner. Er ist zugleich aber auch kein eitler Abzocker oder Profiteur. Amerika kennt sich eigentlich aus mit schwierigen Patrioten, Edward Snowden ist einer von ihnen: “Was unser Land stark macht”, sagte er gleich zu Anfang des Chats, “sind seine Werte, nicht eine Momentaufnahme der Struktur unserer Ministerien oder des Rahmenwerks unserer Gesetze.”
Edward Snowden glaubt an Amerika und leidet. Es gibt schlimmere Sünden. Wie er mit Morddrohungen umgehen, wurde er gefragt: Es gebe Schlimmeres, nämlich die Aufweichung von Grundrechten. Doch lasse er sich nicht einschüchtern: “Wer das Richtige tut, muss nichts bereuen.”
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