Karl-May-Museum in Sachsen Indianer fordern Skalp zurück
Ärger um eine Siegestrophäe aus Kopfhaut: Das Karl-May-Museum in Radebeul streitet mit Indianern um einen Skalp – doch die Friedenspfeife liegt schon bereit.
Es geht in dieser Geschichte im Grunde um Überlieferungen, und die erste führt zurück in das Jahr 1904.
Der Artist und Indianerforscher Patty Frank soll damals auf einen Dakota-Indianer getroffen sein, dieser Indianer soll den Skalp eines anderen vom Stamm der Ojibwe mit sich geführt haben, und dann sollen sich Patty Frank und der lebende Indianer schnell einig geworden sein: Gib du mir die Schopfhaut, ich geb’ dir 100 Dollar und drei Flaschen Schnaps.
Die zweite Überlieferung nun strebt Cecil Pavlat an, 110 Jahre später, und die 1-1-0 ist schon die richtige Chiffre für den klagenden Notruf, den er im März in Form eines Briefes absetzte.
Pavlat ist Rückführungsbeauftrager bei den Ojibwe-Indianern im US-Bundesstaat Michigan, er forderte also die überseeische Lieferung und anschließende Beisetzung des Skalps. Der Umgang mit diesem und besonders dessen Zurschaustellung seien im Übrigen “respektlos, beleidigend und unverantwortlich”. Howgh.
Pacta sunt servanda, schrieb Claudia Kaulfuß da sinngemäß zurück, die Direktorin des Karl-May-Museums in Radebeul. Verträge sind Verträge, der Skalp gehöre seit mehr als 80 Jahren zum Bestand ihres Hauses, seit mehr als 20 Jahren sei er nicht mehr ausgestellt worden.
Pavlat hatte sich als echter Nachfahre an das Museum gewandt, Kaulfuß antwortete immerhin als Amtsnachfolgerin Patty Franks, der einst erster Direktor des Karl-May-Museums in der Villa Bärenfett im sächsischen Radebeul geworden war. 1928 eröffnete das Haus mit einer Indianerausstellung – auf demselben Gelände, auf dem May 16 Jahre zuvor den Tod gefunden hatte.
Das also waren die Konfliktlinien des Frühjahrs: Cecil Pavlat forderte den Skalp mit einem Verweis auf die real existierende UN-Erklärung zu den Rechten indigener Völker von 2007, in welcher auch ein Anspruch auf die Rückführung sterblicher Überreste formuliert ist – Deutschland hat diese unverbindliche Erklärung gezeichnet. Claudia Kaulfuß schloss die Rückgabe wiederum aus mit einem Verweis auf die fehlende wissenschaftliche Prüfung der Echtheit aller Skalpe im Museumsbesitz.
Im “Letter of Understanding” vereinbaren beide Seiten die bessere Erforschung des Exponats
Nun war aber gerade Karl May ein Mensch, in dessen Gedankengebäude praktisch alle Trennwände zwischen Realität und Phantasie beizeiten heftig bröselten. Nur wenige seiner gesagten oder geschriebenen Sätze würden einer Echtheitsprüfung nach heutigen Standards standhalten, aber Claudia Kaulfuß hofft, dass die Sache für sie günstiger ausgehen könnte. Deswegen gab es bei den kürzlich abgelaufenen Karl-May-Festspielen ein Signal der Verständigung zwischen Museum und Pavlat, das dem Streit vorerst seine Schärfe genommen hat.
Beide Seiten unterzeichneten einen “Letter of Understanding”. Gemeinsam erklärte Absicht ist es, die genaue Herkunft des Skalps zu erforschen. Zunächst soll dafür ein Zeitplan erstellt und sollen Fördermittel beantragt werden.
So eine Prüfung bekommt man heute ja nicht für 100 Dollar und drei Flaschen Feuerwasser, neben dem Studium von allerhand Akten sind auch Nachforschungen in den USA und Radebeul geplant. Das Museum schließt eine Rückgabe des Skalps nun nicht mehr komplett aus, sondern möchte diese vom Ergebnis der Untersuchung abhängig machen.
Mehr noch als die verschriftlichte Absicht aber stimmten Augenzeugen jene kleinen Fortschritte hoffnungsfroh, die es im Umfeld der Festspiele zu verzeichnen gab. Schon vor Wochen entfernte das Museum alle echten Skalpe aus seiner Ausstellung, aus “ethischen und politischen Gründen”, wie Kustos Hans Grunert sagte – die vier Kopfschwarten einer Vitrine wurden durch Repliken ersetzt. Bei den Festspielen selbst gab es eine Diskussionsrunde, an der Kaulfuß und Pavlat teilnahmen.
Letzterer reiste dafür zum ersten Mal überhaupt nach Europa. In Radebeul zeigte er seine Bereitschaft zur Versöhnung, die Sächsische Zeitung dokumentierte: “Vielleicht klang der Brief aggressiv, dafür entschuldige ich mich”. Claudia Kaulfuß wiederum übergab Pavlat ein Geschenk – vorerst noch keinen Skalp, sondern eine Uhr, mit einer Gravur der Villa Bärenfett. Eine Geste, keine Entschädigung.
Die Verständigung in der Sache erscheint glaubhaft, und über die viele Aufmerksamkeit wird sich zumindest das Karl-May-Museum nicht beklagen. Die Besucherzahlen sind in den letzten Jahren arg gesunken, und jeder Streit lockt natürlich Schaulustige.
Schöner formuliert findet sich dieser Gedanke übrigens in einem unterschätzten sekundärliterarischen Standardwerk von Roger Willemsen. Dieser reduzierte May einst reimend, es entstand die Sammlung “Ein Schuss, ein Schrei – das Meiste von Karl May.” Darin könnte Direktorin Kaulfuß eines Tages mal nickend diesen schönen Vierzeiler nachlesen, Seite 149: “Nicht grad als Berufswunsch vieler, gilt die Rolle ‘Gegenspieler’. / Wer selbst Partei in einem Zank war, weiß jedoch: Der Part ist dankbar.”
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