Meinung 28.06.14
Von Michael Stürmer
Einzige Supermacht
Ein überfordertes Amerika zieht sich zurück.
Amerika ist unentbehrlich und gleichzeitig überfordert: durch sich selbst, durch die weltpolitischen Rivalen und durch die Schwäche der Europäer. Diese werden das Amerika bekommen, das sie verdienen.
Von Michael Stürmer.
Noch immer sind die Vereinigten Staaten stärkste Militärmacht der Welt, die einzige Supermacht. Dazu verfügen sie über alles, was Harvard-Professor Joseph Nye “soft power” nennt. Das umfasst vieles und vielerlei von den Regeln und Strukturen der Finanzmärkte bis zu Cyberspace und Cyberwar, von Musik und Moden bis zu Film und Fernsehen und allen Spielformen der Moderne. Doch die “sole surviving superpower” leidet an Selbstzweifel – mit Grund.
Nach ihrem Triumph in der Weltenwende von 1989/90 entging sie nicht dem Schicksal, das früher oder später alle Imperien befällt, auch die liberalen, und das in den Chroniken des 20. Jahrhundert als “imperiale Überdehnung” eingetragen ist. Die alten Griechen, die mit der Macht schlecht umzugehen wussten, erkannten doch, vielleicht gerade deshalb, wie Hybris und Nemesis, die hässlichen Schwestern, einander zulächeln.
Den Amerikanern steht ernste Selbstprüfung ins Haus, nicht nur aus Gründen des außer Kontrolle geratenen Staatshaushalts oder der Aushöhlung der Streitkräfte, sondern auch deshalb, weil die alte schöne Idee, die Welt sicher zu machen für die Demokratie und durch die Demokratie, in Asien und den meisten Teilen der Welt nicht mehr die Geltung hat, die ihr einmal zukam.
Chinas Aufstieg lässt die politischen Eliten Asiens erzittern und nach dem künftigen Rezept für Macht und Reichtum fragen, und Putins “Vertikale der Macht” dient als innenpolitisches Widerlager für die Rekonstruktion des imperialen Raumes, den einst Zaren und Kommissare ausfüllten.
Muss Amerika sich um die Welt kümmern?
An den Europäern geht alles dies nicht spurlos vorbei. Beim Betrachten der Trümmer dessen, was für den längsten Teil des 20. Jahrhunderts halbwegs funktionierende Diktaturen waren, unangenehm, aber verlässlich von Syrien bis Ägypten, fallen Lektionen in Realpolitik an. Die Europäer merken unversehens, was es bedeutet, nach dem Abzug von 300.000 GIs, die von Bamberg bis Kaiserslautern den Eisernen Vorhang einst bewachten, allein zu stehen – mit Russland als schwierigem und rüpelhaftem Bewohner im europäischen Haus.
Die Europäer haben keine Wahl als, wohl oder übel, aus der Rolle des Zuschauers, Kritikspenders und Besserwissers herauszutreten. Diese Einsicht war es, die auf der Münchner Sicherheitskonferenz die Ministerin für Verteidigung, den deutschen Außenminister und den Präsidenten kluge – bisher aber wenig folgenträchtige – Worte finden ließen.
Von der Wendung nach Asien, die Amerika mehr gezwungen als freiwillig vollzieht, bis zu den unbekannten, aber ahnbaren Konflikten um die strategischen Benefizien und die mit der Erderwärmung aufsteigenden Konflikte handelt es sich um neue Machtgeometrien, bei deren Vermessung sich entscheidet, wer die Erde erbt. Nichts ist mehr sicher, keine Antwort gilt über die Gegenwart hinaus.
Als ob es die angeborene Pflicht Amerikas gebe, sich um den Rest der Welt zu kümmern, schauen die Europäer, bei anhaltender Verdrießlichkeit über Amerikas mitunter rüde Methoden, von den Spionagepraktiken der NSA bis zum extraterritorialen Gesetzgebungsanspruch Hilfe suchend, wenn es eng wird, auf die USA. Unerbittlich stellt sich dann die Frage weltweit, wofür Amerika steht und wofür Gottes eigenes Land notfalls bereit ist, Gut und Blut einzusetzen.
Für die Europäer ist das nicht ein Fortgeschrittenenseminar in Landeskunde, sondern eine Schicksalsfrage. Denn die Gewissheit, dass Amerika immer und überall die Europäer vor den Folgen ihrer Schwäche und ihres Wunschdenkens bewahren wird, ist ins Wanken geraten.
Europa fehlt es an Kraft und Wille.
Die sich mehrenden Aufforderungen aus deutschen Politikerkreisen, bis hin zum Bundespräsidenten, das Land müsse bereit sein, mehr internationale Verantwortung zu übernehmen, und “ohne uns” sei keine Option für das Schwergewicht in der Mitte Europas – das verrät späte Einsicht in die Notwendigkeit.
Denn nach wie vor gilt, dass es den “Westen” als weltpolitischen Pol nur geben kann im Zusammenwirken der Staaten auf beiden Ufern des Atlantischen Ozeans. Dafür aber ist, mehr als alle anderen zusammen, Amerika, wie einst Bill Clinton sagte, “the indispensable nation” (“die unverzichtbare Nation”).
Was aber, wenn Gottes eigenes Land nicht mehr an sich selbst glaubt, die leuchtende Stadt auf den Hügeln, das neue Jerusalem? “Novus ordo seclorum”, die Neue Weltordnung – dazu sind die Amerikaner berufen, wie sie auf jeder One-Dollar-Note lesen können. Wenn aber Amerika sich für abkömmlich erklärt und nicht mehr den Weltpolizisten abgeben will – wer soll dann die Eckwerte liberaler Weltordnung schützen, freien Handel und die Freiheit der Meere? China und Russland fehlt es an Vertrauen, Europa aber an Kraft und Wille.
Isolationismus bleibt Versuchung.
In West Point hat Barack Obama vor jungen Offizieren jüngst Umrisse einer neue Sicherheitsdoktrin entworfen, und sie muss die Europäer in Aktion versetzen. Amerika ist nun sich selbst der Nächste. Die Verbündeten werden gerade noch erwähnt und Kerninteressen auch, die es notfalls zu verteidigen gilt.
Aber von der “unverzichtbaren Nation” und von der Weltordnung, für die sie steht, war nicht die Rede. Dabei gewinnt Amerika in Asien, je mehr der große rote Drache Feuer speit, an Freunden und Verbündeten, und auch in Europa braucht die Nato sich nicht mehr für ihre Existenz zu entschuldigen. Aber Führung sieht anders aus.
Abschreckung war seit 1945 Teil und Mittel der Pax Americana. Obama aber hat zwei Mal Grundregeln der Strategie verletzt, jedes Mal mit guten Gründen und üblen Folgen. Das eine Mal, als der syrische Diktator Amerikas rote Linie mit dem Einsatz von Chemiewaffen verletzte, das andere Mal, als Obama gegen Putins Landnahme starke Sanktionen verkündete – und es dabei beließ. Jedes Mal gab es gute Gründe, vorsichtig zu sein. Sicherheit aber hat eine andere Logik.
Amerika ist noch lange unentbehrlich. Doch Isolationismus bleibt Versuchung, wie auch die Mahnung der frühen Jahre, Abstand zu halten von “entangling alliances” – verstrickenden Bündnissen. Denn Amerika ist überfordert: durch sich selbst, durch die weltpolitischen Rivalen und durch die Schwäche der Europäer. Diese aber werden das Amerika haben, das sie verdienen.
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