Ferguson als Spiegel der Rassismusprobleme
VON FRANK HERRMANN
22. August 2014
Während sich die Kluft zwischen Weißen und Schwarzen in den USA in den vergangenen Jahrzehnten reduziert hat, ist der Wandel in Kleinstädten wie Ferguson noch immer nicht angekommen
Es sind ein paar Schlüsselsätze, die im Gedächtnis haftenbleiben nach den turbulenten Nächten in Ferguson. “Wenn du schwarz bist und jung, hast du zwei fette Minuspunkte gegen dich, und du kannst nichts ändern daran”, sagte Charles Brooks, Lieferwagenfahrer, Bodybuilder, Vater dreier Teenager und in der Stadt ein Mann von Autorität.
Was Brooks auf einen kurzen Nenner brachte, ist ein Alltag, in dem vier, fünf afroamerikanische Teenager von weißen Ordnungshütern schon als Gefahr wahrgenommen werden, wenn sie nur zusammenstehen und plaudern.
“Die Weißen verstehen uns nicht”
“Die Polizisten sind sowieso gegen uns, ganz egal, was wir tun. Die Weißen verstehen uns nicht, sie haben keine Ahnung, wie wir leben”, hörte man, wenn man mit den Jungen sprach, den Freunden Michael Browns, des erschossenen 18-Jährigen.
Die Folge ist die Mentalität einer Wagenburg. Lange ignoriert von einer Welt, die erst dann aufwacht, wenn es lichterloh brennt, zeigen sie dieser Welt die kalte Schulter, manche begegnen ihr sogar mit trotziger Verachtung.
Was die Ausgestoßenen ahnen, ist dies: Im Kamerascheinwerferlicht der Weltmedien erlebt Ferguson seine “fünf Minuten des Ruhms”, so merkwürdig sich das angesichts von Gummigeschoßen und Tränengas anhören mag – und danach vergisst man es wieder. Arbeits- und perspektivlos, empfinden diese Heranwachsenden das Gerede vom American Dream, von den Aufstiegschancen für alle, als blanken Hohn.
Das ist die eine Welt, das Biotop Ferguson. In der anderen leben Beyoncé und Barack Obama, LeBron James und Oprah Winfrey. Doch nicht nur die großen Stars, die singen können wie Beyoncé, Basketball spielen wie James, talken wie Winfrey, auch die afroamerikanischen Mittelschichten sind dort zu Hause.
Martin Luther King und Rosa Parks
Ihren sozialen Aufstieg verdanken sie Martin Luther King, Rosa Parks und dem Bürgerrechtsgesetzen Lyndon B. Johnsons, aber auch den Rassenunruhen, die Watts 1965 ins Chaos stürzten. Der Aufruhr im Schwarzenviertel von Los Angeles markierte einen Wendepunkt, einen Punkt, der Ungerechtigkeiten und angestauten Frust offenbarte. Obwohl die schwarzen Amerikaner dies damals nicht ahnen konnten, nach Watts ging es für viele von ihnen voran.
Die soziale Kluft zwischen Schwarz und Weiß wurde kleiner: Kam der schwarze Durchschnittshaushalt 1967 noch auf 57 Prozent des Einkommens eines weißen, so waren es 2000 bereits 66 Prozent. An den liberalen Küsten sind Ehen zwischen Schwarzen und Weißen inzwischen so selbstverständlich wie Apple Pie. Nur: Bis ins Biotop Ferguson dringt die neue Normalität gar nicht vor.
Unsichtbare Mauern
Nur ganz wenige dort schaffen es, die unsichtbaren Mauern des geistigen Ghettos zu überwinden, nur wenigen gelingt der Sprung in die Welt der Universitäten, geregelter Arbeit, gesicherten Einkommens. Es liegt am Milieu Fergusons, überall anzutreffen am Rande größerer amerikanischer Städte, dass die Statistiken sind, wie sie sind. Gemessen am Bevölkerungsanteil, sitzen sechsmal so viele männliche Schwarze wie Weiße im Knast.
Rund vier Millionen schwarze Kinder wachsen mit Vater und Mutter auf, sechs Millionen dagegen leben nur noch mit einem Elternteil, meistens der Mutter, während sich der Vater aus dem Staub gemacht hat oder eine Gefängnisstrafe verbüßt. Vielleicht würde es helfen, wenn weitere Bundesstaaten dem Beispiel Colorados und Washingtons folgten und ihre Drogengesetze lockerten.
Ein Grund dafür, dass so viele junge Afroamerikaner hinter Gittern landen, ist unerlaubter Marihuanabesitz. Vielleicht würden liberalere Paragrafen dazu beitragen, die Barrikaden des Ghettos nach und nach zerbröseln zu lassen. (Frank Herrmann aus Washington, DER STANDARD, 23.8.2014)
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